Flüchtlinge - Betroffenheit gibt's gratis

Flüchtlingsgipfel sind die politische Mode der Stunde: Gestern lud NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Essen zum Gespräch, übermorgen tagt der nächste Runde Tisch zum Thema in Berlin.

Monatelang hat sich kein Landes- oder Bundespolitiker über die Zustände in Erstaufnahme- oder Großunterkünften informiert; jetzt - nach den Misshandlungsskandalen um wehrlose Asylbewerber - drängt sich die Frage auf: Was bringen solche politischen Flüchtlingsgipfel?

Sicher, die Betroffenheit ist groß (und kostet nichts), Wogen werden geglättet. Bei der Gelegenheit geht vor vielen Gipfel-TV-Kameras der Fingerzeig der überlasteten Städte zum Land, und vom klammen Land weiter zum Bund. Und dann passiert erst mal wenig. Das ist in einem vergleichsweise wohlhabenden und gut strukturierten Land wie Deutschland der zweite Flüchtlingsskandal.

Was machbar wäre, zeigt ein Blick auf die Zahlen. 200.000 Flüchtlinge erwartet Deutschland dieses Jahr - keine Schwemme, keine Flut, wie manche Debatte nahelegt. Rund 10.000 Syrer sind darunter, Überlebende eines derart rohen Krieges, dass das Bundesinnenministerium ihnen Schutz zusagt. Eine noble Geste, nur schrumpft sie im Vergleich zum Improvisationstalent anderer Länder. Die Türkei hat eine halbe Million, der Libanon über eine Million Syrer aufgenommen - und zwar ohne die Wirtschaftskraft, die uns auszeichnet.

Dass Deutschland angesichts von 50 Millionen Flüchtlingen weltweit mehr als 200 000 Menschen aufnehmen muss, liegt nahe. Es wäre auch kein Problem: Auf dem Höhepunkt der Balkankrise in den Neunzigern kamen im Jahr über 450 000 Menschen zwischen Kiel und Konstanz unter. Deutschland ist unter dem Ansturm nicht kollabiert, im Gegenteil: Die Situation war so undramatisch, dass sich heute fast niemand daran erinnert, welche XXL-Dimension Mitmenschlichkeit in Deutschland annehmen kann.

Beim Blick auf die Zahlen, werden manche einwerfen, müsse man auch jene EU-Staaten nennen, die sich bei der Flüchtlingsaufnahme wegducken - Südeuropa oder Polen etwa. Deutschland und Schweden nehmen die Hälfte der Schutzsuchenden auf. Natürlich gibt es Kapazitäten bei Nachbarn, die erschlossen werden könnten. Eine vereinte Flüchtlingspolitik würde diesem Kontinent, der ja immerhin den Friedensnobelpreis erhalten hat, auch gut zu Gesicht stehen. Doch die maximale Wattzahl von Staubsaugern lässt sich in Brüssel verordnen, Großzügigkeit kaum.

Sie findet sich dort am leichtesten, wo keine Flüchtlingsgipfel stattfinden: bei den Ehrenamtlichen, die sich derzeit in Kommunen um Neuankömmlinge kümmern. Bei denen, die nicht wegschauen und wie die Verwaltung Verantwortung an Sub-Sub-Unternehmer delegieren. Sie zeigen, dass Deutschland es besser kann.

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