Kommentar Krise in Griechenland und der EU - Verwirrtes Europa

Bonn · Das Pokerspiel geht in die letzte Runde. Der Hauptakteur: Eine zockende griechische Regierung, die Angela Merkel & Co und die eigene Bevölkerung täuscht. Ein Ministerpräsident, der den Menschen in Athen oder Thessaloniki vor den letzten Wahlen viel versprach und am Ende kein Versprechen wird einhalten können.

Dazu Regierungschefs und Finanzminister, die resignierend kaum noch Handlungsoptionen formulieren können. Sinnbildlich dafür ein völlig erschöpfter Wolfgang Schäuble. Er ist am Wochenende im TV nicht in der Lage zu erklären, was da gerade passiert. Und nicht zuletzt das griechische Volk, das nun in einem Zustand zunehmender Irrationalität am 5. Juli per Referendum darüber entscheiden soll, was nach jahrelangen Gesprächen angebliche Experten aus Wirtschaft und Politik nicht auf den Weg brachten.

Es sind verwirrende Tage für ein verwirrtes Europa. Vor Kurzem noch kaum vorstellbar, mittlerweile aber konkret ist, dass mit einem Staatsbankrott Griechenlands auch die europäische Idee vor die Wand fährt. Weil es nicht gelingt, Perspektiven zu entwickeln, die über den nächsten Stichtag für milliardenschwere Überweisungen hinausgehen.

Längst ist klar: Ohne Schuldenschnitt werden Griechenland und andere Euro-Staaten nicht wieder handlungsfähig. Viele Ökonomen fordern diese große Schuldenkonferenz, die Regeln und Kontrollen anpasst und Startpositionen definiert. Das wird teuer. Und besonders teuer wird es für Deutschland. Denn Deutschland profitiert wie kein zweites Land von der EU, vom Euro und damit vom freien Handel. Europa ist nicht irgendwo, sondern bei Deutschland verschuldet.

Weil die deutsche Wirtschaft derart stark ist, dass viele Unternehmen in Europa seit Jahren nicht mithalten können. Die deutsche Einheit hat viel Geld gekostet, geschätzt 1500 Milliarden Euro. Sie ist trotz der immensen Kosten eine beispiellose Erfolgsgeschichte, weil sie Menschen zusammengeführt, Lebensverhältnisse angeglichen und Fehler der Vergangenheit korrigiert hat. Insofern wird die Bundesrepublik an diesem entscheidenden Punkt der Geschichte als wirtschaftlich stärkstes Land einen großen Teil der finanziellen Lasten schultern müssen. Sind 100 Milliarden Euro zu viel für eine Zukunft des Euro, der EU? Was ist der richtige Beitrag, um in Frieden an einem sozial gerechten Europa weiter zu arbeiten? 50 Milliarden, 200 Milliarden Euro?

Einige Südländer hätten zum Start der Währungsunion nicht mitmachen dürfen. Das ist mittlerweile Teil der historischen Wahrheit. Damals war der politische (deutsche) Wille stärker als die ökonomische Vernunft. Jetzt muss die Politik, mithin der Steuerzahler, diese Fehlentscheidungen bezahlen. Bleibt dieser Schritt aus, stürzt Griechenland ins Chaos.

Politisch würde es die radikalen Kräfte besonders in Südeuropa stärken. Die europäische Idee, noch in den 90er Jahren als Königsweg unumstritten, verkäme zur Worthülse. Wenn die Zentralbank (EZB) die Handlungshoheit aufgibt oder aufgeben muss, ist der griechische Finanzmarkt den rohen Kräften der Kapitalmärkte ausgeliefert. Seröses Geld wird, wenn überhaupt, durch unseriöses abgelöst. Vagabundierendes Finanzkapital könnte in diese Lücke stoßen. Die Lage wäre unkontrollierbar. Es bleibt eine Hoffnung: Das griechische Volk behält am 5. Juli einen klaren Kopf, entscheidet sich für Reformen und für Europa. Und EU und EZB finden Wege, diese Tage der Ratlosigkeit zu finanzieren, um dann endlich realistische Lösungen anzusteuern.

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