Kritik an Annie Ernoux Antisemitismusvorwürfe gegen Literaturnobelpreisträgerin

Bonn · Antisemitismusvorwürfe gegen Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux: Zeitungen kritisieren Nähe zur Israel-Boykottbewegung BDS. Ernaux polarisiert auch in Frankreich.

 Kontrovers: Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux.

Kontrovers: Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux.

Foto: dpa/Michel Euler

Die frisch gekürte Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux sieht sich mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. Mehrere Zeitungen bringen die französische Schriftstellerin mit Briefen gegen die Israel-Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) in Verbindung. Laut „Jerusalem Post“ habe Ernaux unter anderem 2021 den „Brief gegen Apartheid“ unterzeichnet, in dem die israelische Gaza-Politik kritisiert wird, berichtet unter anderem der „Spiegel“. Darin sei es um Angriffe auf Araber und Palästinenser sowie israelische Angriffe auf Gaza gegangen, ohne dabei Unruhen zu erwähnen, die von israelischen Arabern ausgegangen seien.

Ferner soll Ernaux einen Appell von 100 französischen Künstlerinnen und Künstlern unterzeichnet haben, der zum Boykott des „European Song Contest“ in Tel Aviv aufrief und die Forderung beinhaltete, das französische Fernsehen solle den ESC nicht übertragen. Ein weiterer von Ernaux unterzeichneter Brief soll sich für die Freilassung eines libanesischen Aktivisten eingesetzt und kritisiert haben, „dass das Image des Staates Israel in Frankreich beschönigt dargestellt werde“ (Spiegel). Die BDS-Bewegung versucht, den Staat Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell zu isolieren, weil er ein Kolonialstaat sei. 2019 verabschiedete der Bundestag eine Resolution, in der BDS als antisemitisch bewertet wird.

Reaktionen auf Nobelpreis

Die „FAZ“ berichtete über die sehr unterschiedlichen Reaktionen in Frankreich auf den Nobelpreis für die französische politische Schriftstellerin, die klar links stehe und eine überzeugte Feministin sei. Sie ist streitbar und umstritten. Aktuell betone Ernaux, so die „FAZ“, dass sie die Proteste im Iran unterstütze, aber einen großen Unterschied sehe: Dort kämpfe man gegen „den absoluten Zwang“, in Frankreich dagegen „um die Freiheit“, den Schleier zu tragen. „Schließlich zwinge niemand die Französinnen dazu: eine diskutable Position, gerade aus dem Mund einer genauen Beobachterin subtiler sozialer Zwänge.“

Dieses „Ungefähre, Waghalsige präge“, so „FAZ“, Ernaux’ Engagements: „Sie hat die Gelbwesten unterstützt und den linksextremen Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon – der am Donnerstag ‚vor Glück geweint‘ hat, wie er twitterte. Problematisch war 2017 ihr Einsatz für Houria Bouteldja, Sprecherin der ‚Indigènes de la République‘ (Eingeborene der Republik) und Autorin des Pamphlets ‚Les Blancs, les juifs et nous‘ (Die Weißen, die Juden und wir; 2016); Rassismus, Homophobie und Antisemitismus sind da nicht weit.“

Das Thema Ernaux und der Antisemitismus sei, so die „FAZ“, momentan kein großes Thema in Frankreich. „Man ist nicht so empfindlich, schließlich gilt: über Nobelpreisträger nur Gutes, zumindest die eigenen. Und im Werk spielt das ja auch alles keine Rolle. Aber Ernaux ist in Debatten sehr präsent, und ihre Positionen sind viel unbequemer, als man rechts des Rheins denken und links des Rheins sagen mag.“

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