Ausstellung im Arp Museum Das geht unter die Haut

Bonn · Berlinde De Bruyckeres morbider Figurenpark verstört im Arp Museum Rolandseck: Kopflose Figuren und Wesen aus Tierfellen. Eröffnung am Sonntag.

 Ist das ein Pferd oder eine raffinierte Ansammlung von Tierfellen? Berlinde De Bruyckeres Ausstellung steckt voller gruseliger Überraschungen.

Ist das ein Pferd oder eine raffinierte Ansammlung von Tierfellen? Berlinde De Bruyckeres Ausstellung steckt voller gruseliger Überraschungen.

Foto: Benjamin Westhoff

Wehe, wer sich mit den Göttern anlegt. Die antike Mythologie kennt die Geschichte des Satyrn Marsyas, der einst die Flöte der Göttin Athene fand, auf dem Instrument zu spielen begann und irgendwann Gott Apollo zum Wettstreit herausforderte. Zunächst sahen die Schiedsrichter-Musen Marsyas im Vorteil. Doch dann setzte Apollo noch eins drauf, bereicherte sein Kitharspiel durch Gesang und gewann den Contest. Zur Strafe hängte er den Satyr an eine Fichte und zog ihm bei lebendigem Leib die Haut ab. Der Marsyas-Mythos ist seit der Antike und dann insbesondere in der Renaissance und im Barock Thema der Kunst. In der christlichen Überlieferung ereilte den Jünger von Jesus Christus, den Märtyrer Bartholomäus, ein ähnliches Schicksal.

Antikes Drama im neuen Gewand

Eine neue Lesart des antiken Dramas ist derzeit im Arp Museum Bahnhof Rolandseck zu erleben: Die holländische Künstlerin Berlinde De Bruyckere (Jahrgang 1964) entzieht ihrem „Marsyas“ den mythologischen Kontext und präsentiert ihn als Kreatur, die nackt, bloß, verdreht und gekrümmt zum Opfer wird. Kopflos steht sie im Raum, blutige Häute hängen an ihr herab. De Bruyckere arbeitet mit eingefärbtem Wachs, das täuschend echt die Hautstruktur simuliert. In De Bruyckeres zweiter „Marsyas“-Version hat sich die Kreatur quasi aufgelöst – es hängen nur noch drei Wachshäute schlaff von der Decke. Die Ausstellung heißt „PEL/ Becoming the figure“. Das niederländische Wort „Pel“ bedeutet Haut oder Schale, ist mit unserem umgangssprachlichen Wort Pelle verwandt. Die von Jutta Mattern kuratierte Ausstellung gehe dem Betrachter „buchstäblich unter die Haut“, liest man in einer Pressemitteilung.

Horrorvision und Albtraum

Ein morbides Schauspiel, das einerseits Verletzlichkeit und Vergänglichkeit der Kreatur gewissermaßen in 3D vorführt, andererseits schwer gruselig daherkommt und schlimmste Horrorvisionen und Albträume provoziert. Wer denkt bei den hyperrealistischen kopflosen Körpern nicht unweigerlich an aktuelle Vorkommnisse in Bonn?

Für De Bruyckere sind diese drastischen Skulpturen liebevolle Hommagen an die Fragilität der Kreatur, an deren Werden und Vergehen. Sie sieht sie gefangen „im Spannungsfeld zwischen Eros und Thanatos“, Lebenstrieb und Todestrieb, wie sie am Freitag im Gespräch sagte. So liebevoll, wie sie über ihre malträtierten Geschöpfe redet, so gründlich verfährt sie auch bei deren Demontage. Wobei sie sich wie bei Marsyas nicht um den jeweiligen geschichtlichen oder literarischen Kontext kümmert.

„Schmerzensmann“ auf der Flucht

Ihr „Schmerzensmann“ beispielsweise – in der christlichen Bildkunst versteht man darunter den Erlöser Christus, der seine Wundmale von der Kreuzigung zeigt – ist regelrecht auf der Flucht. Er ist einen rostigen Masten hochgeklettert und hängt in der Haltung eines Embryos, der sich festklammert, über den Köpfen der Besucher. Der „Schmerzensmann“ als Inbegriff der verfolgten, leidenden Kreatur. Seine expressive Körperhaltung erinnert zwangsläufig an die Gestalt und den Ausdruck eines Tänzers. In der Tat standen bei De Bruyckere Beobachtungen von Tänzern am Anfang ihrer Körperstudien: Die Choreografien des Belgiers Alain Platel inspirierten sie ebenso wie der Tanz des Portugiesen Romeu Runa. Die Künstlerin zeichnet und fotografiert die Performance der Akteure, interpretiert ihre Körpersprache auch materiell, indem sie Silikonabdrücke einzelner Körperteile abnimmt, die dann in einem langwierigen Verfahren in Wachs umgesetzt werden. 

Choreografie und Skulptur

Aus den modellierten Körpern entwickelt sich De Bruyckeres morbider Figurenpark. Seit 2013 gibt es auch einen Weg der Skulptur zurück zum lebendigen Körper: Die Künstlerin lädt etwa den Tänzer Runa ein, sich von einzelnen Skulpturen zu Choreografien anregen zu lassen, erzählt sie. Zur Eröffnung am Sonntag wird eine solche Performance zu sehen sein. De Bruyckere provoziert jedoch nicht nur die tänzerische Interpretation, sie regt überhaupt die Fantasie an. Ist das ein Pferd, das da auf Böcken mitten im Raum steht, oder nur eine Ansammlung täuschend echt drapierter Felle? Sieht man anderswo eine pulsierende Aorta, ein paar Gliedmaßen oder lediglich einen in Fleischtönen eingefärbten Klumpen Wachs?

Da ist reichlich Interpretationsspielraum in dieser gleichsam verstörenden wie faszinierenden  Schau über Leben und Tod geboten.

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