Hype um Fotokunst Spielen die Fotosammler verrückt?

Eine Analyse des Fotomarktes nach dem sensationellen Hammerschlag für Man Ray: Das Auktionshaus Christie‘s in New York erzielte sensationelle 12,4 Millionen Dollar für „Le Violon d‘Ingres“.

 Man Ray, Le Violon d'Ingres, 1924. Dieser einzigartige Silber-Gelatine-Abzug, 48,5 x 37,5 cm, fand für 12,412,500 US-Dollar einen neuen Besitzer.

Man Ray, Le Violon d'Ingres, 1924. Dieser einzigartige Silber-Gelatine-Abzug, 48,5 x 37,5 cm, fand für 12,412,500 US-Dollar einen neuen Besitzer.

Foto: DPA

Sensationelle 12,4 Millionen Dollar erzielte das Auktionshaus Christie‘s in New York für „Le Violon d‘Ingres“ von Man Ray. Ein neuer Rekord für ein einziges Foto. Es zeigt den nackten Rücken von Kiki de Montparnasse in den Formen eines ausgehöhlten Saiteninstruments. Der Dadaist und Surrealist (1890-1976) klebte seinem geliebten Modell schwarze F-Löcher auf den Körper, bevor er 1924 auf den Auslöser drückte. Der handsignierte Originalabzug führt nun die Hitliste der Preise an. Ist der Zuschlag nur ein Ausrutscher? Wie stabil ist der Fotomarkt? Wohin geht der Trend? Eine Analyse.

Erst in den späten 1980er Jahren verzeichnete der Handel den ersten Boom in der Fotografie, als auf der Art Cologne die Preise für Thomas Ruff fast täglich stiegen. Doch nicht jeder Fotograf, der sich nun Fotokünstler nannte, konnte von seinen Verkäufen leben. Die Becher-Schülerin Tata Ronkholz, heute für ihre Aufnahmen von Trinkhallen bejubelt, hatte massive Geldsorgen. 1997 schied sie aus dem Leben.

Natürlich jubeln Auktionshäuser und berühmte Galerien über die Preisentwicklung, die längst auch die Modefotografie ergriffen hat. Glamour und Schönheit sind gefragt. Beispiele dafür sind Herb Ritts, Helmut Newton, Richard Avedon und der in Düsseldorf angehimmelte Peter Lindbergh, dessen Schau kurz nach seinem Tod von Besucherströmen begleitet war.

Teuerste Werke stammen immer noch von Malern

Stefan Gronert, der langjährige Kurator für Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bonn und seit 2016 Kurator für Fotografie und Medienkunst am Sprengel Museum in Hannover, listete 2019 mit dem Kollegen Marc Junghans den Kunstmarkt für Fotografie auf. Danach rangiert die hochgelobte Fotokunst unter ferner liefen. Ganze zwei Prozent an Fotos sind in Museumsausstellungen zu sehen oder werden auf Auktionen verkauft. Auf den Kunstmessen werden sie zu sieben Prozent angeboten. Und die teuersten Werke stammen noch immer von Malern. Damit ist der hochgelobte Markt der Fotografie eher zweitrangig.

Umso mehr springt der Hammerschlag für Man Rays Kiki de Montparnasse ins Auge. Die Reaktion ist zwiespältig. Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn, der immerhin durch Ausstellungen der Amerikaner Lewis Baltz, Larry Sultan und Mitch Epstein hervorgetreten ist, reaktiv eher entsetzt. „Seit Jahren sehen wir eine Tendenz zu einer extrem spekulativen Überhöhung des Sekundärmarktes. Dieser Markt spielt sich unter völliger Aussparung der Museen ab, die diese Mittel nicht aufbringen können. Wir, die wir die Arbeiten eigentlich zeigen sollten, sind ausgeschlossen. Das ist eine fatale Konsequenz. Gleichzeitig sieht man natürlich auch, dass es in der gesamten Welt kaum noch Dinge gibt, auf die man sich verlassen kann. Weder der Aktienmarkt noch der Immobilienmarkt gehören dazu. Da geht das private Kapital auch gern in die Kunst, weil sie eine bestimmte Wertbeständigkeit hat.“ Darius Himes, Christie‘s internationaler Leiter der Fotografie-Abteilung, ist des Lobes voll für den erzielten Preis. Man Rays „Violon“ sei eines der bekanntesten Kunstwerke.

Es zähle zu den einflussreichsten Kunstwerken. Die Konkurrenz stimmt dem neidlos zu. Im Auktionshaus Grisebach in Berlin ließ die Kunsthistorikerin Diandra Donecker aufhorchen, als sie 2017 mit 29 Jahren die Fotoabteilung übernahm und 2018 das kleine Fotogramm von László Moholy-Nagy aus der Bauhauszeit vermittelte. Das Vintage von 1923/25 erhielt den Zuschlag bei 487.500 Euro (inklusive Aufgeld). Das ist noch immer der höchste Preis für eine Fotografie in Deutschland. Seit 2019 ist Donecker Ceo und Partnerin, mithin eine der wichtigsten Führungskräfte des deutschen Kunstmarkts. Ihr Kommentar: „Das Werk von Man Ray ist eine Ikone, Kiki eine Kultfigur und ‚Violon d‘Ingres‘ vergleichbar mit einem Bild von Picasso; das ist eines der berühmtesten Motive der Welt.“

Die Spezialistin hält allerdings auch die Fotografie für eines der schwersten Felder auf dem Kunstmarkt: „Die Fotografie ist abhängig von einer großen Recherche und Kenntnis, sie setzt im klassischen Bereich eine Kennerschaft voraus. Aber von diesen Kennern gibt es nicht so viele, die auch die Kaufkraft besitzen. Zugleich wird es immer schwerer, an Material zu kommen. Viele bedeutende Sammler haben sich für die Leihgabe oder Schenkung an ein Museum entschieden. So ist etwa die Stiftung Ann und Jürgen Wilde mit ihrer Sammlung moderner und zeitgenössischer Fotografie sowie den Archiven Karl Blossfeldt und Albert Renger-Patsch der Pinakothek der Moderne angegliedert, und die Stiftung Thomas Walther befindet sich im MoMa. Dadurch gibt es kaum Fluktuation und ein größeres Angebot an bedeutenden Vintage-Abzügen, die den Begriff der exquisiten Qualität verdienen.“

Dreh- und Angelpunkt für den Kaufpreis ist die Art des Abzugs. Der Kölner Fotogalerist Thomas Zander erklärt kurz und bündig: „Das Probem der Fotografie liegt in den Fragen, wo, wann und von wem Abzüge gemacht wurden. Hierzu der Bonner Museumschef Stephan Berg: „Die Unterscheidung zwischen Vintage Print und späteren Abzügen ist schwer zu treffen. Das zeigt sich beim Ankauf der Kicken-Sammlung für den Kunstpalast. Die einen halten den Ankauf preislich für gerechtfertigt, die anderen für völlig überteuert. Der Markt ist kaum noch durchschaubar. Der Enkel Gerd Sander verkaufte die Aufnahmen von August Sander fröhlich einfach weiter. Oft erkennt der Laie den Unterschied zwischen einem vom Künstler signierten und einem neuen Abzug nicht.“

Leichter hat es der Kunstmarkt mit der zeitgenössischen Farbfotografie. Hierzu Diandra Donecker: „Es gibt scheinbar immer mehr Käufer, die sich für eine Welt in Hier & Heute interesieren, also für eine Bilderwelt, die keine hundert Jahre zurückgreift, sondern verständlicher und näher wirkt. In der aktuellen Fotografie hat man nicht so große Probleme mit dem Angebot, weil es viel mehr gibt und noch nicht so viel schon in Sammlungen untergebracht ist. Farbfotografie trifft auch teilweise mehr den Geschmack der Käufer von heute.“ Dem hält Thomas Zander allerdings entgegen: „Der Markt im Schwarzweiß-Bereich ist wesentlich stabiler, weil diese Aufnahmen auf Barytpapier haltbarer sind als Color-Prints.“

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