Beethovenfest 2015 "Ich fürchte mich vor der Kongresshalle"

Bonn · Mit dem Konzert der Bamberger Symphoniker ist am Sonntagabend das Beethovenfest 2015 zu Ende gegangen Mit Festspiel-Intendantin Nike Wagner sprach Bernhard Hartmann.

 Ein Zelt für die Kammermusik: Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner.

Ein Zelt für die Kammermusik: Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner.

Foto: Barbara Frommann

Was war Ihr Beethoven-Moment 2015?
Nike Wagner: Es gab nicht einen, es gab viele. Ich nenne nur die ganz "erleuchteten": die 25. Variation in g-Moll aus Bachs Goldberg-Variationen, gespielt von Andras Schiff - so unbeschreiblich klagend-gesanglich. Dann Beethovens kratzig-existenzielle "Große Fuge" beim Tanzabend von Stephanie Thiersch. Das Asasello-Quartett saß auf einem winzigen Transport-Plateau, sieben Performer drängten sich hinzu, dann setzte sich das Ganze in Bewegung, schmaler Lichtkorridor, die Körper lösten sich langsam aus dem Gedränge, fielen herab. Ein Sinnbild der Überlebens klassischer Darbietungen entstand oder auch Bilder vom Floß der Medusa.... Sehr schöne Momente hatte ich auch in Salvatore Sciarrinos "Wenn wir erwachen", einer Nachtmusik, die eine poetische, versunkene Welt der Naturlaute hervorruft. Beeindruckend auch die Momente der Stille in Saburo Teshigawaras "Metamorphosis", dem zweiten Teil aus dem Doppelabend "Spirit". Da gab es eine Szene, wo alles aufhörte, die Körper verknäult und erstarrt auf dem Boden, wie Erdhaufen. Nichts passierte. Interessant, dass das Publikum sehr bald unruhig wurde. Das sagte einiges über uns, unsere Gesellschaft und unsere Befindlichkeiten.

Würden Sie Ihrer eigenen Einschätzung nach sagen, dass Ihre Festivaldramaturgie mit Tanz, Diabelli-Schwerpunkt und Diskussionsveranstaltungen aufgegangen ist?
Wagner: Die vielen Rückmeldungen von Hörern und Zuschauern legen das nahe! Dazu die bestens ausgelasteten Säle. Mein "Veränderungs"-Konzept ist offensichtlich aufgegangen. Das Beethovenfest ist ja aber auch ein Projekt, das auf verschiedene Bedürfnisse reagiert. Wir haben einerseits sehr viel Glanzvoll-Festivalwürdiges mit großen Namen und Orchestern, daneben aber auch die Tiefenbohrung - die Konzentration auf ein Beethoven-Werk, wie zum Beispiel beim Diabelli-Variationen-Projekt. Der Tanz hat ohnehin immer mit Musik zu tun und die Diskussionen brauchen wir, um einem Festival-Motto gerecht zu werden, es noch besser auszuschöpfen.

Ziehen die Sponsoren da mit?
Wagner: Bei den Haupt- und Event-Sponsoren gab es keine Einbrüche, manchmal sogar neues Engagement. Die Notwendigkeit von - behutsamen - Veränderungen leuchtete ein. Sehr gefreut habe ich mich über die Kunststiftung NRW. Dort weiß man, dass programmatische Besonderheiten notwendig sind - sowohl der Bezug zur Gegenwart wie der Bezug zur Vergangenheit. Die Stiftung hat zwei Pole gefördert: den experimentellen Tanz und die historische Aufführungspraxis mit den Konzerten der Anima Eterna Brugge unter der Leitung von Jos van Immerseel.

Das Beethovenfest ist über den Zeitraum von vier Wochen ja nicht immer gleich präsent in der Stadt. Ist es nicht zu lang?
Wagner: Es ist ein bisschen zu lang. Ich bin mit dem ehrlichen Vorhaben angetreten, es kürzer zu machen. Es kam dann aber aus dem Aufsichtsrat die Mahnung, dass wir eine bestimmte Anzahl an Karten auflegen müssen. Sonst würden wir nicht die Wünsche der Hauptsponsoren erfüllen.

Wie hoch war die Auslastung?
Wagner: Die Auslastung beträgt 87 Prozent, und 32 Veranstaltungen waren zu über 90 Prozent ausgelastet, bzw. ausverkauft.

Man hat den Eindruck, dass sich das Beethovenfest auch personell ein wenig dem Motto "Veränderungen" unterwirft. Woran liegt's?
[kein Linktext vorhanden] Wagner: Ein Wechsel in den Personalbesetzungen bei neuer Führung ist erst einmal normal und erfrischend. Dann muss man unterscheiden: Wo war eine Verhaftung ans "ancien régime" dafür verantwortlich, wo höhere Mächte und wo die persönlichen Wünsche? Zwei Mitarbeiter haben höhere Stellen angeboten bekommen. Tilman Schlömp, bei uns Leiter des künstlerischen Betriebs, wird Intendant des Kissinger Sommers. Er hat längst das Können, selbst Chef zu sein. Ich bedaure, dass er weggeht, kann es aber verstehen. Auch Lena Oymanns, zuständig für das Education-Programm des Beethovenfests, "fällt hinauf": sie wird stellvertretende Leiterin der Musikschule Bonn. Einen neuen Geschäftsführer aber wünschte ich mir. Und was Dettloff Schwerdtfeger, der zum Jahreswechsel den Kaufmännischen Direktor Helmut Pojunke als Kaufmännischer Geschäftsführer ablöst, in Leipzig als Leiter des Bachfestes geleistet hat, ist enorm. Er kennt sich bestens im Musikbetrieb aus, ist ein sehr guter Marketing-Mann und hat Musikwissenschaft studiert. Was will man mehr?

Was erwartet die Besucher des Beet-hovenfestes im nächsten Jahr?
Wagner: Ich verrate mal nur das Motto: "Revolutionen." Das können soziale Revolutionen sein, aber auch künstlerische und musikalische. Ein breites und ergiebiges Thema, mit "Beethoven" leicht vereinbar. Neben Solitären wie einem Gastspiel etwa des Bayerischen Staatsorchesters mit Kyrill Petrenko wird die Musik zur Zeit der französischen Revolution eine Rolle spielen, die Beethoven beeinflusst hat, aber auch die russischen Revolution. Oder auch der "arabische Frühling" - der keiner geworden ist, und wo nun alles in Blut versinkt. Oder auch die Revolutionen im zeitgenössischen Tanz, im Amerika der 60er Jahre....

2017 müssen Sie wohl ohne die Beethovenhalle auskommen, die ja ab Herbst nächsten Jahres saniert wird, und ins WCCB umziehen. Wie stehen Sie dazu?
Wagner: Ich fürchte mich vor der Kongresshalle. Mein Traum ist es, bis 2017, wenn die Spielstätten-Mangelsituation akut wird, die eine Million Euro aufzutreiben, die ich für einen Saal mittlerer Größe benötige. Der Entwurf liegt vor. Vielleicht hilft ja doch die Stadt Bonn? Oder die Festspielhaus-Freunde? Sie bekämen eine sensationelle, vielseitig verwendbare "temporäre Architektur".

Diese könnte dann im Innenhof des Poppelsdorfer Schlosses aufgebaut werden?
Wagner: Dort hat es die Uni exklusiv für das Beethovenfest erlaubt. Denkbar wären selbstverständlich auch andere und öffentliche Plätze.

Lassen sich bei dieser aufblasbaren Architektur denn akustisch befriedigende Ergebnisse erzielen? Auch was die Außengeräusche betrifft?
Wagner: Akustisch wird das perfekt gemacht! Akustiksegel innen und kluger Standort! Der Architekt Hans Walter Müller hat in Paris und der Provence längst schon "aufblasbare" Säle realisiert. Fast immer dienten sie vielen Zwecken. Ein Saal für bis zu 700/800 Besucher könnten die Bonner für alle möglichen Veranstaltungen nutzen, für Konzerte, Tanz, Performance, Diskussionen, aber genauso gut für die ganz jugendlichen Formate.

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