Bonner Oper Puccinis "Tosca" - Lust und Qual

BONN · Die Todesarten sind schon mal anders in dieser Bonner Inszenierung von Puccinis "Tosca": Der sadistische Polizeichef Scarpia wird von der Sängerin Floria Tosca nicht erstochen, sondern erdrosselt, und die Diva selbst stürzt sich nicht von der Engelsburg in den Tod, sondern erschießt sich. Das kann man, wenn man denn will, so machen, zumal sich am Resultat eh nichts ändert: In Puccinis Opern-Reißer überleben alle Hauptfiguren nicht.

 Opfer politischer Ränke: Floria Tosca (Yannick-Muriel Noah) beugt sich über den blutüberströmten Mario Cavaradossi (Christian Juslin). Baron Scarpia (Evez Abdulla) beobachtet die Szene.

Opfer politischer Ränke: Floria Tosca (Yannick-Muriel Noah) beugt sich über den blutüberströmten Mario Cavaradossi (Christian Juslin). Baron Scarpia (Evez Abdulla) beobachtet die Szene.

Foto: Thilo Beu

Wie kaum eine andere Oper freilich ist Puccinis "Tosca" an einem historischen Datum festzumachen: exakt am 14. Juni 1800, als Napoleons Truppen in der Schlacht von Marengo die Österreicher besiegten, was fürs Erste einen Triumph der Republikaner über die Royalisten bedeutete. Der Maler Cavaradossi und Tosca geraten in Rom zwischen die Fronten dieser Auseinandersetzung; ihre Sympathien für die Republikaner müssen sie mit Folter und Tod bezahlen, Tosca befördert zuvor den Strippenzieher Scarpia ins Jenseits.

Regisseur Philipp Kochheim, der sich in Bonn der "Tosca" angenommen hat, ist ein Freund der Zeitverschiebung. Wie viele andere Regisseure auch hegt er offenbar Zweifel daran, dass die Fantasie eines Publikums ausreicht, aus einem weit zurückliegenden historischen Ereignis Erkenntnisse fürs Hier und Jetzt zu ziehen. Vor ein paar Jahren hat Kochheim in Augsburg und Darmstadt den Puccini-Hit mit dem Militärputsch in Chile 1973 verbunden; in Bonn wechselt er ins Italien der 1970er und 1980er Jahre, wo die Machtverhältnisse zwischen Staat, Mafia und Kirche ziemlich verworren sind.

Der Zeitenwechsel bringt nicht viel, genau genommen macht er den Zugang zur Oper eher schwierig, weil die Grenzen zwischen "Gut" und "Böse" verschwimmen, weil hier niemand mehr weiß, wer für was steht (was durchaus der Absicht der Inszenierung entsprechen mag). Im Programmheft geht man dafür noch einen Schritt weiter, zeigt in Bildern Jacqueline Kennedy und den US-Mafioso Sam Giancana, einen Unterstützer John F. Kennedys, und will so wohl die These von unheiligen, undurchschaubaren Allianzen untermauern.

Das ist ein bisschen viel politisch zusammengekramter Ballast für eine Oper, bei deren Inszenierung Kochheim immer dann Spannendes zuwege bringt, wenn er sich ganz auf die Personenregie konzentriert - wie in der von Lust und Qual beherrschten Auseinandersetzung zwischen Tosca und Scarpia. Manchmal verzettelt er sich in erfundenen Nebenfiguren wie beim erotisch beladenen Hausmädchen, das sich mit einem Staubwedel an einem Relief abmüht.

Das italienische Kino steht überall Pate, geraucht wird unendlich viel, auch bei Liebesbezeugungen, und Thomas Grubers Bühnenbilder sind ganz dem Verismo verpflichtet, von der Straßenszene bis zur Hinterhof-Tristesse. Dass dabei ein Te Deum vor der Kulisse eines Autobomben-Attentats gesungen wird, gehört zu den Merkwürdigkeiten des Abends.

Wie das immer so ist bei Regie-arbeiten, die ihren ehrgeizigen, aufklärerischen Anspruch nicht ganz einlösen können: Die Musik muss es rausreißen. Und sie tut das sehr ordentlich in Bonn, streckenweise sogar begeisternd. Das liegt zunächst einmal am Beethoven Orchester unter Hendrik Vestmann, der Puccinis Musik gänzlich unverstellt ausspielen lässt: Man hat weder Angst vor dem brutalen Klang noch vor einschmeichelnder Süße.

Im Ensemble gibt es viele neue Stimmen, die ausgiebig bejubelt wurden. Yannick-Muriel Noah stattet ihre Tosca mit einem schönen dunklen Ton aus, der auch in der Höhe hörenswert füllig bleibt; die dramatische Attacke liegt ihr ebenso wie der lyrische Wohlklang. Christian Juslin (Cavaradossi) mag nicht den Schmelz des italienischen Tenors haben, aber seine Stimme ist prägnant, unstrapaziert, sorgt für mühelose, strahlende Spitzen. Im Trio der Hauptfiguren gelingt Evez Abdulla die spannendste Interpretation: In seinem eindringlich gesungenen Scarpia leuchtet sozusagen das Böse auf schönste Weise in vielen vokalen Abstufungen.

Rolf Broman (ein sehr bewegender Angelotti) und Priit Volmer (Mesner) stehen an der Spitze der kleineren Partien, in denen sich durchweg profiliert auch Johannes Mertes, Alexey Smirnov, Hartmut Nasdala und Katharina Liebhardt bewähren. Chor und Kinderchor des Hauses haben an Schlagkraft nichts verloren.

Info: Die nächsten Aufführungen: 8., 10., 16., 30. November. Karten bei Bonnticket und in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers

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