Reaktionen zum Eklat in Kölner Philharmonie "Reden Sie gefälligst deutsch!": Publikum beschimpft Cembalisten

Köln · Der iranische Musiker Mahan Esfahani ist in der Kölner Philharmonie vom pöbelnden Publikum zum Abbruch eines Musikstückes des amerikanischen Komponisten Steve Reich gezwungen worden. GA-Redakteur Bernhard Hartmann mit den Reaktionen.

Es kommt gelegentlich vor, dass ich es bedaure, in einem Konzert nicht dabei gewesen zu sein. Ich würde zum Beispiel vieles dafür geben, wenn ich den Auftritt des legendären Pianisten Friedrich Gulda beim Beethovenfest 1970 miterlebt hätte. Den 200. Geburtstag Beethovens feierte er damals unter anderem mit der monumentalen „Hammerklaviersonate“ des Jubilars. Und als Zugabe überraschte Grenzgänger Gulda sein Publikum in der Beethovenhalle mit eigenen Variationen über „Light My Fire“ von den Doors. Für manchen Beethovenianer war dies ein Schock. Ein Eklat oder gar ein Skandal wurde nicht daraus.

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall. Ich bin ganz ehrlich unendlich dankbar dafür, nicht Zeuge des Auftritts von Concerto Köln und des iranischen Cembalisten Mahan Esfahani in der Kölner Philharmonie gewesen zu sein. Nicht wegen der Musik, nicht wegen der Künstler, sondern wegen des Publikums, das die Cembalo-Version von Steve Reichs Klassiker „Piano Phase“ aus dem Jahre 1967 durch lautstarkes Lachen, Klatschen, Buhrufe und Pfeifen nach einigen Minuten zum Abbruch brachte. Der Cembalist griff daraufhin zu einem Mikrofon und fragte das Publikum gerade heraus: „Wovor habt ihr Angst?“ Schon seine kurze, in englischer Sprache gehaltene Einführung in das Werk war von Zwischenrufen wie „Reden Sie doch gefälligst deutsch“ gestört worden. Wir leben heute halt in anderen Zeiten als 1970.

Es ist ein völliges Rätsel, woher plötzlich diese neue Engstirnigkeit kommt. Gerade in Köln, wo die neue Musik seit Jahrzehnten eine Heimat hat, lässt sich das Publikum eigentlich nicht von ungewohnten Klängen derart verschrecken. Provokativ oder skandalträchtig ist die Musik überhaupt nicht. Sie ist keine Publikumsbeschimpfung in Tönen. Das minimalistische, eigentlich für zwei Klaviere geschriebene Stück besteht im Grunde nur aus einem einzigen Motiv aus gleichmäßigen Achtelnoten, das sich über mehr als eine Viertelstunde permanent wiederholt.

Der Clou dabei: Der zweite Pianist spielt dasselbe Motiv, beschleunigt es jedoch mit der Zeit unmerklich. Die so entstehenden Phasenverschiebungen zwischen beiden Ausführenden, die dem Effekt beim Läuten von Kirchenglocken nicht unähnlich sind, entfalten nach und nach eine hypnotische Wirkung. In Köln erzielte der Cembalist den Effekt der Phasenverschiebung mit einer Tonaufnahme, auf der er selbst den ersten Piano-Part auf einem Cembalo eingespielt hatte.

Im Internet lösten die Vorkommnisse in der Philharmonie eine Welle der Empörung aus. Auf Facebook schreibt eine Userin: „Und schon wieder fällt Köln unangenehm auf! Überall wird man sich wieder fragen, was bloß mit dieser Stadt los ist. Es wird langsam wirklich peinlich.“ Viele Kommentare ziehen eine Parallele zu aktuellen fremdenfeindlichen Reaktionen im Lande. Das erscheint aber doch etwas gewagt. Esfahani wurde nicht angegriffen, weil er Iraner ist, sondern wegen der Musik, die er spielte. Ähnliches wäre sicher auch einem britischen Cembalisten widerfahren. Esfahani selbst durchlebte nach dem Konzert, das am Sonntagnachmittag um 16 Uhr stattgefunden hatte, eine schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen, als er am Köln-Bonner Flughafen auf seinen Flug wartete, schrieb er seine Gedanken zu den Kölner Vorgängen nieder und veröffentlichte sie auf der Internetseite „Slippedisc“.

Die Zeilen sind nicht von einem geschrieben worden, der verbittert ist. Esfahani ist eher überrascht. Er habe ein paar Dinge gelernt, schreibt er. Unter anderem, dass einige Leute Idioten sind. Und dass es Menschen gibt, die vor Dingen, die sie nicht verstehen, Angst haben und dies in offener Feindseligkeit zum Ausdruck bringen. Aber er ist auch berührt von der „überwältigenden Unterstützung“, die er von einem anderen Teil der Zuhörer erhalten habe. Einer war aus dem Publikum war sogar von seinem Platz aufgesprungen und auf die Bühne gelaufen, wo er zum Mikrofon griff, um Esfahani beizustehen und ihm zu versichern, dass er und viele andere das abgebrochene Stück gern komplett gehört hätten. Und ihm gefällt sogar irgendwie, dass sein unschuldiges Instrument, das Cembalo, solch eine massive Reaktion auszulösen in der Lage ist. Aber er sagt auch: "Ich kriege Kopfschmerzen, wenn ich daran denke, was wohl geschehen wäre, wenn ich etwas wirklich Neues gespielt hätte.“

In der Kölner Philharmonie bedauert man die Geschehnisse und plädiert für einen „respektvollen Umgang“. Intendant Louwrens Langevoort zieht gleich die richtige Konsequenz: „Wir haben Esfahani gleich wieder eingeladen, er wird Reichs Stück am 1. März 2017 noch mal spielen“. Und das ist wirklich eine gute Nachricht: Der Cembalist gibt dem Publikum eine zweite Chance.

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