Theater im Ballsaal: Grandioser Schlusspunkt für "Into the Fields"

BONN · Die in Montpellier residierende Compagnie Didier Théron ist eine Institution in der französischen Tanzszene. Und erwies sich als Glücksfall für die Bonner Compagnie CocoonDance, der es gelang, am Ende ihres ambitionierten Festivals "Into the Fields" einen künstlerischen Höhepunkt zu präsentieren.

Ein männlicher Boléro: Benjamin Dukhan (Mitte), Lorenzo Dallaï und Thomas Régnier in einem Spiel von Begehren und Aufbegehren.

Ein männlicher Boléro: Benjamin Dukhan (Mitte), Lorenzo Dallaï und Thomas Régnier in einem Spiel von Begehren und Aufbegehren.

Didier Théron hatte sich zwar kurzfristig entschlossen, statt seines angekündigten "Bartleby" ein anderes Solo zu zeigen: "Selbstbildnis Raskolnikow" nach Dostojewskis Roman "Verbrechen und Strafe", eine Choreografie von 1997. Théron selbst tanzt den Mann, der kaltblütig eine alte Frau erschlägt und die Tat reflektiert.

Auf der leeren Bühne umkreist er einen Stuhl, schafft einen Gedankenraum um das Zentrum, zu dem er immer wieder zurückkehrt. Er erzählt nicht die Geschichte, sondern die fiebrige Erregung des Mörders, der rationale Rechtfertigungen für sein Verbrechen sucht, vor sich selbst erschrickt und langsam in den Irrsinn abgleitet.

Die literarische Vorlage ist für ihn "prétexte", also zugleich vorgängiger Text und Vorwand für eine komplexe Textur aus Schritten, ins Leere führenden, sich kreuzenden Linien und körperlichen Suchbewegungen. Es ist ein anti-expressives, 20-minütiges, präzises Kammerspiel mit einer sich selbst verlierenden Figur.

Leise überlagert Bachs "Matthäus-Passion" den Geräuschwirbel der Musik von Daniel Menche, bevor am Ende geradezu höhnisch "I'm singing in the rain" ertönt. Raskolnikows existenzielle Schulderfahrung wird zu einem absurden Beweis der göttlichen Ordnung. Auf den Klassiker aus Thérons Repertoire folgte "Boléro - Les Hommes", der im Sommer 2011 uraufgeführte Mittelteil einer Trilogie zu Maurice Ravels legendärer Tanz-Apotheose. Die weibliche Version kam zur Weltausstellung 2010 in Shanghai heraus.

Die männliche ist komprimiert auf drei Tänzer, die in schwarzen langen Hosen mit nacktem Oberkörper die vorwärts drängende Kraft der ständigen Wiederholung demonstrieren. Kleine Sprünge mit geöffneten und geschlossenen Beinen sind das quasi sportliche Grundelement dieser Choreografie, die die Bodenhaftung nach und nach im Rhythmus der musikalischen Akkumulation auflöst.

Die Körper agieren wie die Instrumente in Ravels Komposition, die eine mechanisch bis zum Überdruss repetierte Figur erotisch aufladen. Die drahtigen Tänzer Lorenzo Dallaï, Thomas Régnier und der hochgewachsene Benjamin Dukhan mit schwarzem Vollbart umspielen mit athletischer Energie die Konstruktion des Begehrens, das gleichzeitig ein Aufbegehren ist, bei dem man(n) sich unterstützt und bekämpft. Knapp 20 Minuten gnadenlos perfekte Tanzgeometrie auf hellen Licht-Carrees mit raffinierter Zirkelschluss-Intelligenz.

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