Interview mit Literaturkritikerin Elke Heidenreich: „Gendersternchen gibt es bei mir nicht“

Interview | Berlin · Literatur­­kritikerin Elke Heidenreich spricht im GA-Interview über Bücher von Frauen, ihren neuen literarischen Wegweiser, welchen Frauen­roman jeder Mann kennen sollte – und warum sie Gendersprache ablehnt.

 „Wenn ihr in eurem Leben Krisen habt oder Schwierigkeiten, können Bücher euch helfen“, sagt Elke Heidenreich im GA-Interview.

„Wenn ihr in eurem Leben Krisen habt oder Schwierigkeiten, können Bücher euch helfen“, sagt Elke Heidenreich im GA-Interview.

Foto: dpa/Georg Wendt

Frau Heidenreich, Ihr neues Buch heißt „Hier geht’s lang!“ und dreht sich um Bücher von Frauen. Schreiben Frauen anders?

Elke Heidenreich: Ja und nein. Frauen schreiben über die Welt, wie sie sie sehen und kennen, und Männer schreiben über die Welt aus ihrem Blickwinkel – da gibt es Unterschiede und Überschneidungen. Es ist mit Sicherheit im Ton und in den Erfahrungen ein bisschen anders, aber das heißt nicht besser oder schlechter.

Welches Buch einer Frau sollte jeder Mann gelesen haben?

Heidenreich: „Die Wand“ von Marlen Haushofer. Weil das eine Frau ist, die sehr tief in sich hinabsteigt, in ihre Ängste, in ihre Einsamkeit. Das Buch, das mit Martina Gedeck verfilmt wurde, erzählt symbolisch die Geschichte einer Frau im Wald, in dem plötzlich eine Wand wächst. Sie lernt zu überleben, Gemüse anzupflanzen, sie trifft Tiere – am Ende bricht Brutalität in ihr Leben ein in Form eines Mannes, der auch in diesem Wald überlebt hat. Warum ist das so? Warum können wir einander nicht auf Augenhöhe begegnen? Das ist sehr bewegend.

In der öffentlichen Debatte wird das Thema Gleichberechtigung unter anderem an der gendergerechten Sprache festgemacht. Warum verzichten Sie in Ihrem Buch aufs Gendersternchen?

Heidenreich: Das Gendersternchen wird es niemals bei mir geben. Ich finde es eine große Hysterie mit der gendergerechten Sprache, eine genau solche Hysterie wie mit der Frauenquote, für die ich auch nie war – es soll der Beste den Job machen, egal ob Mann oder Frau, so weit sollten wir doch inzwischen sein. Wenn jemand in meine Texte Gendersternchen einfügen würde, würde ich mir einen Rechtsanwalt nehmen. Bei mir wird nicht gegendert.

Wie haben Sie die Bücher für „Hier geht’s lang!“ ausgewählt?

Heidenreich: Ich bin an meinem eigenen Leben entlang gegangen. Als ich ein Kind war, haben Mädchen Mädchenbücher gelesen und Jungen Jungenbücher. Wenn man in die Pubertät kommt, dann liest man Liebesromane, Mädchen glaube ich mehr als Jungen, sie essen Pralinen und lesen „Angelique“ oder ähnliches. Und irgendwann will man als Frau die Welt auch mal mit den Augen von Männern sehen und fängt an, Männerromane zu lesen, das ist ein ganz normaler Übergang: Erst sucht man sich selber in der Literatur, und dann das andere.

Es geht um Bücher von Autorinnen, die Ihr Leben geprägt haben – und da geht es mit den Kinderbüchern der 50er Jahre los, die ein erzkonservatives Frauenbild transportierten. Was denken Sie, wenn Sie heute durch Bücher wie „Pucki“ oder „Trotzkopf“ blättern?

Heidenreich: Ich denke gar nichts Böses darüber, die Zeit war damals einfach so. Ich bin der Meinung von Goethe, der sinngemäß gesagt hat: Wie sollte ein Buch einen Menschen mehr verderben als das tägliche Leben und all die Schlechtigkeiten, die wir um uns herum sehen? Mir hat diese Lektüre nicht geschadet, ich habe mich ja irgendwann davon wegentwickelt und gemerkt: So verlogen, bieder und spießig ist die Welt in Wirklichkeit gar nicht.

Als Ihr Lebensbuch bezeichnen Sie „Kein Ort. Nirgends“ von Christa Wolf – warum?

Heidenreich: Christa Wolf schildert die fiktive Begegnung der Karoline von Günderrode, die als Frau in der Romantik nicht dichten durfte, mit Heinrich von Kleist, der in die Armee musste, um Geld zu verdienen. Das Buch schildert die Stellung des Künstlers in der Gesellschaft, und das ist ja mein großes Thema: Wie werden die Künstler, gerade jetzt bei Corona, behandelt? Ist Kunst systemrelevant oder nicht? Davon abgesehen ist es glänzend geschrieben.

Sind Frauen im modernen Literaturbetrieb gleichberechtigt?

Heidenreich: Ja, das sind sie unbedingt. Die Verlage drucken Frauen, die Leser lesen Frauen, die finanziellen Bedingungen sind auf beiden Seiten gut, da gibt es keinen Unterschied mehr zu sehen.

Welches Frauenbild findet sich Ihrer Meinung nach in der zeitgenössischen Literatur?

Heidenreich: Das kann man nur sehr schwer sagen. Ganz viele Frauen arbeiten sich ja immer noch ab an der Vergangenheit, an ihren Müttern, an der Kriegsgeneration. Dazu kommen die vielen Frauen aus Entwicklungsländern, die eine enorme Kraft haben, die Bücher schreiben können aus ihrem Erleben in ihren Ländern. Ein einseitiges Frauenbild so wie damals – brav sein, in der Küche sein und den Mund halten – das gibt es überhaupt nicht mehr.

In Ihrem Buch schreiben Sie auch, dass Ihr erstes selbstgekauftes Buch von einem Mann war: „Kleiner Mann – was nun?“ von Hans Fallada. Besitzen Sie das Exemplar noch?

Heidenreich: Natürlich habe ich das noch! Die Bücher, die mich in meinen jungen Jahren begleitet haben, habe ich alle verwahrt, die habe ich durch mein Leben mitgenommen. Ich gebe zwar vieles von den neueren Büchern weg, weil ich weiß, dass ich das nicht zweimal lese – ich gebe es Krankenhäusern oder Altenheimen, oder stelle es in die Bücherschränke, die überall in den Städten stehen. Ich habe immer im Flur einen Riesenstapel stehen, und alle, die mich besuchen, müssen ein paar mitnehmen. Aber von den Büchern, die ich wirklich liebe, trenne ich mich niemals.

Gekauft haben Sie das Buch 1956, und Sie schreiben, dass Sie damals Zigaretten geraucht haben. Wirklich? Mit 13?

Heidenreich: Ja, mein Vater hat viel geraucht, und er hatte eine Tankstelle, an der ich rumlungerte, wenn meine Mutter arbeitete, und er hat mir oft eine von seinen Zigaretten gegeben. Damals wurde nicht so ein Theater um Gesundheit gemacht. Ich habe mit zwölf angefangen, einzelne Zigaretten zu rauchen, aus Wichtigtuerei, mit 15 habe ich dann richtig geraucht, mit 23 habe ich für 20 Jahre aufgehört. Jetzt rauche ich ab und zu mal eine aus Genuss, nach einem fetten Essen etwa – eine Packung reicht mir drei, vier Wochen. Es ist ein Genuss, wie ein Schnäpschen. Verteufeln lasse ich mir das nicht.

„Hier geht’s lang!“ liest sich stellenweise wie eine Autobiographie in Büchern…

Heidenreich: Es ist eine Lesebiographie, keine Autobiographie. Es kommen ja weder meine Liebesgeschichten noch sonst was darin vor, sondern es geht darum: Was ist mit mir als Leserin passiert? Wie habe ich meinen Weg durch den Dschungel der Literatur gefunden und was hat mein Germanistikstudium dazu beigetragen? So gut wie gar nix. „Hier geht’s lang!“ ist missionarisch gemeint, es soll ein Wegweiser sein durch die Welt der Bücher, in dem ich dem Leser sage: Wenn ihr in eurem Leben Krisen habt oder Schwierigkeiten, können Bücher euch helfen – diese hier haben mir geholfen. Ganz subjektiv.

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