Tief im Michaelsberg Im Zweiten Weltkrieg fanden die Siegburger in drei Stollen Schutz

SIEGBURG · Dezember 1944. Flackernde Elektrolämpchen bringen spärlich Licht in das weite Dunkel. Loren voll Gestein rattern vorbei: Der Tunnel frisst sich stetig weiter hinein in den Michaelsberg. Zwei Mal zwei Meter, mehr bleibt der jungen Mutter und ihren vier Kindern nicht.

Sie ruhen auf Matratzen und Feldbetten, schützen sich mit Decken gegen die Kälte. Wie Dutzende andere Siegburger sucht die Familie Nießen in einem von insgesamt drei unterhalb der Abtei angelegten Stollen Schutz vor den Bomben, die auf ihre Stadt abgeworfen werden.

Gut 67 Jahre später. "Hier ist der Eingang zum größten Stollen." Erich Nießen deutet auf eine leichte Mulde im Gelände oberhalb des Spielplatzes an der Bergstraße. Mehr als 60 Meter tief sei dieser Unterschlupf gewesen. Mit einem Geologen hat der heute 77-Jährige unlängst am Michaelsberg die Zugänge zu den Tunneln ausgemacht, die im Herbst 1944 zum Schutz für Familien, die ihr Heim bei Bombenangriffen verloren hatten, angelegt worden waren.

Leichte Bodenverwerfungen markieren am Weg oberhalb des Heiligenhäuschens an der Mühlenstraße, wo die Siegburger seinerzeit in die knapp 100 Meter voneinander entfernt liegenden Stollen zwei und drei gelangten. Einer dieser Tunnel diente auch Erich Nießen und seiner Familie, der jüngste Bruder war kaum ein halbes Jahr alt, ab Oktober 1944 als Unterschlupf. Das Haus an der Frankfurter Straße war nach einem Bombeneinschlag unbewohnbar.

Die Zeit im Stollen ist dem früheren Vizebürgermeister noch präsent. Er erinnert sich an Holz und Eisenträger, zum Schutz vor dem Einsturz. An Latrinen vor dem Ausgang. An immer mehr Menschen, die in der Enge Schutz suchten. Und daran, dass seine Mutter die ausgeteilten Speisen ausschlug und selbst im zerstörten Heim für die Familie kochte.

"Angst? Nein, Angst haben wir damals nicht gekannt", versichert Nießen. Man habe sich an die Situation angepasst. Und so kletterten der damals Zehnjährige und seine Freunde quer durch das Gelände, auf der Jagd nach Eidechsen. Und auch beim Fliegeralarm harrten sie auf ihrer Mauer aus.

Im Januar 1945 endet Erich Nießens Zeit im Stollen. Die hygienischen Zustände seien katastrophal gewesen. Vor Typhus und Fleckfieber sei seine Familie zurück in den abgestürzten Keller an der Frankfurter Straße geflohen. "Wenn wir schon sterben müssen, dann zu Hause", habe seine Mutter damals entschieden. Die Nießens haben überlebt. Sie erlebten die Ankunft der Amerikaner und schließlich auch das Ende des Zweiten Weltkrieges. In die Stollen kehrte Erich Nießen auch danach zurück. "Zum Spielen." So lange, bis sie 1947 endgültig zugeschüttet wurden.

Und was ist mit dem Gerücht um den wohl im Mittelalter errichteten Geheimgang, durch den die Mönche von der Abtei bis in den Herrengarten gelangt sein sollen? Also bis dorthin, wo heute das Finanzamt steht. Beim Bau des Gebäudes habe er ihn selbst gesehen, versichert Nießen. Mehr weiß auch er nicht. Frater Linus, der letzte verbliebene Benediktiner in der Abtei, ahnt zumindest, wo der Eingang liegen könnte. In der Krypta, verborgen hinter einer Grabplatte.

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