Buch über Bonner Kneipengeschichten Wie Erwin Ruckes versuchte, den Flipper zu entführen

Bonn · Sofia Grillo hat ein Buch über die Bonner Kneipenkultur ab den 1960er Jahren geschrieben. Es berichtet von einer Zeit, in der Queen und die Scorpions in Muffendorf auf der Bühne standen.

 Der Schuppen von Anne Wibbe lag an der Ecke Dorotheenstraße/Heerstraße. Heute ist dort das Pawlow.

Der Schuppen von Anne Wibbe lag an der Ecke Dorotheenstraße/Heerstraße. Heute ist dort das Pawlow.

Foto: Wartberg Verlag

Ihre Geschichten stammen aus einer längst vergangenen Zeit. Und es mag kein Zufall sein, dass sie in den 1960er Jahren ihren Anfang nahmen, als die Hauptstadt sich noch finden musste und insbesondere die junge Generation von damals mit Sprüchen wie „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ den eigenen Eltern kräftig in den Hintern zu treten verstand.

Auch wenn es Hamburger Studenten waren, die 1967 vor ihren Professoren das Transparent enthüllten, das als Symbol der Studentenbewegung galt: In Bonn ging es ja nicht groß anders zu. Und das spiegelt sich eben auch in den „Bonner Kneipengeschichten“ wider, die GA-Autorin Sofia Grillo aufgeschrieben und mit der Alliteration „Chaos, Kölsch und Kellerrock“ untertitelt hat. In Buchform sind sie nun im Wartberg-Verlag erschienen.

25 Kneipen im Porträt

Zu lesen ist von 25 Kneipen, die über das Stadtgebiet verstreut lagen. Die wenigsten von ihnen haben die Jahrzehnte überstanden. Und folglich schwingt in den Berichten der vielen Zeitzeugen, die Grillo für ihr Buch befragt hat, eine gehörige Portion Wehmut mit.

Geraucht wurde damals noch in den Bars. Der blaue Dunst stand weit bis unter die Decke. So war es auch im Schuppen in der Altstadt, der seinem Namen äußerlich alle Ehre machte und den Anne Wibbe lange führte. „Wir hatten zwar alle kein Geld, aber für zehn Bier am Abend hat es irgendwie immer gereicht“, erinnert sich Wibbe, die dort an der Theke anfing.

Von 1972 bis 2000 betrieben Heinz-Dieter Ehrich und seine Frau Andrea das Bonnbons. Die Kneipe (heute ist an selber Stelle die Wache) hatte auch unter der Woche bis 3 Uhr morgens geöffnet. Die lange Konzession war (und ist) darauf zurückzuführen, dass das Gebäude zur damaligen Kurfürstenbrauerei an der Bornheimer Straße gehörte. Ende 2011 war endgültig Schluss mit Kurfürsten-Bier, dessen geschmackliche Defizite in den Aufkleberspruch „Abends Kurfürsten, morgens Klo bürsten“ mündete. Im Bonnbons jedenfalls, so erinnert sich Stammgast Heinz Filthaut, der in den 1970er Jahren als Student nach Bonn kam, hätten die Gäste die Gestaltung des Abends weitgehend selbst in die Hand nehmen können, ohne den Widerspruch der Barkeeper fürchten zu müssen. Von einer entfesselten Wasserschlacht weiß er ebenso zu berichten wie davon, dass ihm eines Abends eine gelernte Friseurin den „grauenhaften“ Bart an Ort und Stelle beschnitt.

Der Beat-Generation hat Grillo ein eigenes Kapitel gewidmet. Jener Jugendbewegung also, der auch Bonner Lokalbands wie Proud Flesh ihren Stempel aufdrückten. Im Underground in Muffendorf, dessen Bestand ab 1969 nur kurz, aber laut war, traten in den 1970er Jahren Bands wie Queen und die Scorpions auf. Tische und Stühle gab es nicht. Dafür Matratzen und alte Bettpfannen, die als Aschenbecher dienten. Bill – „Zuckerpuppe (aus der Bauchtanz-Truppe)“ – Ramsey sang in der Kerze, deren Kellergewölbe in der Königstraße (Südstadt) zu finden waren. In der Küche bereiteten sie derweil „Spaghetti mit Dreck“ zu, die in Italien Bolognese heißen.

Große Stars und viele Anekdoten

Doch die großen Stars, die in vielen Fällen erst später zu solchen wurden, stehen nicht im Mittelpunkt dieser Kneipengeschichten, die bis in die 1990er Jahre reichen. Gespickt ist das Buch mit Fotos und Anekdoten, die ein Lebensgefühl aus diesen Zeiten zum Ausdruck bringen. Der Elder Statesman der Bonner Kneipenszene, Erwin Ruckes, erzählt, wie er eines Abends betrunken und anderweitig berauscht mit einem Gefährten den Flipper aus der Kerze entführen wollte und am Widerstand von Wirt Roland Korndörffer kläglich scheiterte.

In der Schumann-Klause soll der spätere Tagesthemen-Sprecher Ulrich Wickert auf dem Tresen getanzt haben, was der mittlerweile 80-Jährige selbst dann nicht abstreiten würde, wenn es nie passiert wäre. Der Wirt und „Kneipenphilosoph“ Friedel Drautzburg und sein Kompagnon Harald Gruhnert machten erst Stimmung gegen den Hauptstadtumzug, um dann die Ständige Vertretung in Berlin zu eröffnen.

Autorin Sofia Grillo, Jahrgang 1994, musste in eine Zeit eintauchen, die sie selbst nicht miterlebt hat: „Ich wusste zunächst gar nicht, wie ich an die Leute von damals herankommen kann. Aber hast du erst mal einen gefunden, kommen die anderen automatisch.“ Das Netzwerk der Wirte und ihrer Kunden, es funktioniere bis heute. Dass die Jahrzehnte, in denen Kneipen den Status eines zweiten Wohnzimmers hatten, vorbei sind, bedauert Grillo durchaus: „Das Prinzip der Stammkneipe existiert nicht mehr, weil die Konkurrenz mit Streaming-Diensten und sogenannten Megaevents zu groß geworden ist.“

„Bonn Kneipengeschichten – Chaos, Kölsch und Kellerrock von Sofia Grillo, 80 Seiten, gebundene Ausgabe, ISBN-Nummer: ‎ 978-3831334025, 15,90 Euro.

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