Kommentar Mindestlohn - Am Ziel

Jetzt ist er durch. Deutschland bekommt ab dem 1. Januar 2015 einen gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro in West wie Ost. Historisch ist ein strapazierter Begriff, aber eine Zäsur ist es allemal.

Die SPD jubelt, die Unionsparteien machen gute Miene zum großkoalitionären Spiel, die Grünen machen mit, die Linke enthält sich (obwohl sie noch als PDS doch die Ersten waren, die einen Mindestlohn in Deutschland gefordert hatten). Jetzt hätten es nach Lesart der Linken zumindest zehn Euro pro Stunde sein sollen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) darf für sich getrost in Anspruch nehmen, nach der abschlagsfreien Rente mit 63 Jahren nun auch den Mindestlohn ins Ziel gebracht zu haben. Sie ist damit die Bundesministerin der großen Koalition mit der besten Erfolgsbilanz der ersten sechs Monate. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Was kann Nahles in den gut drei Jahren bis zum regulären Ablauf der Legislaturperiode noch an Projekten umsetzen?

Dass ein allgemein verbindlicher Mindestlohn in Deutschland vom Gesetzgeber gemacht werden muss(te) und nicht von Tarifparteien ausgehandelt wurde, ist Stärke und Schwäche dieses Gesetzeswerkes zugleich. Schwäche deshalb, weil es letztlich Aufgabe der Tarifpartner - wenn sie sich denn als solche verstehen - gewesen wäre, Löhne und Gehälter zu verabreden, die zweifelsfrei für ein auskömmliches Einkommen gegen gelieferte Arbeit gesorgt hätten.

Stärke wiederum zeigt das Gesetz über den Mindestlohn, weil der Gesetzgeber nach ungezählten Appellen für ein Ende von Niedriglöhnen dann doch die notwendige Initiative übernommen hat und das heftig diskutierte Gesetz letztlich auch die in Deutschland gewollte Tarifautonomie stärken soll.

Mit dem Gesetz über den gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn werden etwa 3,5 bis vier Millionen Millionen Arbeitnehmer in Deutschland nach unten abgesichert. Sie profitieren von dem Gesetz. Ab dem nächsten Jahr gilt für sie: mindestens 8,50 Euro.

Es wird aber auch Verlierer geben, weil in strukturschwachen Regionen mit wenig Kaufkraft nicht jeder Betrieb diesen Mindestlohn zahlen kann. Dass Langzeitarbeitslose während der ersten sechs Monate nach Wiedereinstieg in das Arbeitsleben keinen Mindestlohn bekommen, ist aus Sicht der Betroffenen schmerzhaft, erhöht aber doch ihre Chancen auf Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt.

Grundsätzlich ist unter den Parteien Konsens, dass Geschäftsmodelle überwunden werden, die darauf angelegt sind, dass der Staat die Löhne aufstockt. Die Folgen einer solchen Lohnpolitik rächen sich später ohnehin und bringen noch teurere Kosten für die gesamte Gesellschaft mit, weil gerade Dumpinglöhne viele Renten auf Armutsniveau drücken. Das kann niemand wollen.

Der Mindestlohn, so muss man es sehen, ist eine der größten sozialpolitischen Reformen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dass von 2016 eine Mindestlohn-Kommission, in der Arbeitgeber wie Arbeitnehmer vertreten sind, alle zwei Jahre über die Höhe der flächendeckenden Lohnuntergrenze befinden soll, ist nur konsequent. Denn das Gesetz, das den Mindestlohn enthält, will vor allem eines: die Stärkung der Tarifautonomie.

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