Die Agrarpolitik der Bundesregierung hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher Mehr Mut zum Wandel

Meinung · Den Landwirten wurde jahrelang eingetrichtert, dass sie nur mit größeren Betrieben überleben könnten. Wenn die Entwicklung jetzt weg von der Massentierhaltung hin zu kleineren, tierfreundlicheren und nachhaltigeren Einheiten gehen soll, müssen die Bauern für den erneuten Wandel bezahlt werden.

 Die Grüne Woche beginnt in Berlin.

Die Grüne Woche beginnt in Berlin.

Foto: dpa/Carsten Koall

Während bei der Grünen Woche in Berlin die Politiker Hände schütteln und sich vor laufenden Kameras durch Käseplatten und Bierverkostungen arbeiten, sind die Fronten hinter den Kulissen verhärtet wie selten zuvor: Die Bauern fühlen sich durch immer mehr Vorschriften in ihrer Existenz bedroht. Tier- und Umweltschützer beklagen ausbleibende Fortschritte. Und Verbraucher fragen sich angesichts des Lebensmittel-Skandaljahres 2019, was sie noch sicher essen können. Dazwischen appelliert, mahnt und verkündet Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, je nachdem, was das jeweilige Publikum gerne hören möchte . Aber sie scheut konkrete Konsequenzen. Kurzum: Der Karren steckt tief im Dreck.

Hauptursache für die Misere ist, dass sich die Politik seit Jahren davor drückt, einen klaren Richtungswechsel in der Agrarpolitik einzuleiten. Man will keine der Wählergruppen verschrecken, und sorgt damit für weitere Interessenkonflikte.

Den Landwirten wurde jahrelang eingetrichtert, dass sie nur mit größeren Betrieben überleben könnten. Wenn die Entwicklung jetzt weg von der Massentierhaltung hin zu kleineren, tierfreundlicheren und nachhaltigeren Einheiten gehen soll, müssen die Bauern für den erneuten Wandel bezahlt werden. Der Vorschlag, dafür die Mehrwertsteuerermäßigung auf Fleisch zu streichen ist sinnvoll – auch wenn er dem einen oder anderen Schnitzelfan nicht schmeckt. Eine echte Agrarwende ist ohne Verzicht nicht zu haben.

Das betrifft auch die Stellung Deutschlands als Groß-Exporteur von Agrarprodukten. Dass etwa massenweise deutsches Schweinefleisch nach China geliefert wird, hat mit einer nachhaltigen Landwirtschaft nichts zu tun. Ein Armutszeugnis für die Bundesregierung ist die Tatsache, dass die Verbote für das sogenannte Kükenschreddern und die betäubungslose Ferkelkastration verschoben wurden.

Die Bauernlobby muss sich von ihrem Weiter-so-Kurs verabschieden. Die Forderung von Verbandspräsident Joachim Rukwied, mit dem hochumstrittenenen Unkrautgift Glyphosat die Folgen des Klimawandels abzufedern, zeigt, wie weit sich die Interessenvertretung der Landwirte von der gesellschaftlichen Realität in Deutschland entfernt hat. Durch die Klimadiskussion ist die Bereitschaft vieler Menschen zur Veränderung gestiegen. Das sollte auch in der Politik ankommen.

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