Das Fräulein-Wunder schreibt zarte Bosheiten auf

Tanja Dückers liest im Schmöker-Café in Siegburg von kiffenden Töchtern, alkoholkranken Diven und Rollmops

Siegburg. (qm) "''Es ist unmöglich das Maul auch noch zu küssen.'' Öl läuft Thorsten über Lippen, Mund und das Kinn, als er mit Genuss in ein Stück Rollmops beißt. Seine Herzdame ist vom Hering-Essen eher angewidert. ''Du wirst Zungenkrebs bekommen und sterben'', meint seine Freundin."

Mit zarten Bosheiten hat Tanja Dückers die Figuren in ihren Erzählungen rund ums "Café Brazil" ausgestattet. Mehrere Episoden las die Autorin, die Arnold Leifert, Spiritus Rector des Siegburger Literaturforums, als "Fräulein-Wunder der deutschen Literatur" im Schmöker-Café der Siegburger Stadtbibliothek angekündigt hatte.

Mit Farben, Gerüchen, Bildern, Gesprächen und Gefühlen geizt die 33 Jahre alte Autorin nicht: Da ist Elena, die Opernsängerin mit der penetranten Alkoholfahne oder Miriam und Josef, die über einen reichhaltigen Schatz an Zeichensprache in ihrer Liebe verfügen und sich immer noch Liebesbriefe auf dem Postweg schicken, obwohl sie längst unter einem Dach wohnen.

Ganz andere Probleme hat Nathalie, die mit 15 Jahren begann, eine Liste ihrer Liebhaber anzufertigen. Bei 99 Don Juans angekommen, befällt sie eine merkwürdige Ehrfurcht, wer Nummer 100 sein soll. Nicht weniger merkwürdig ist Lukas, der sich einen Nachschlüssel für die Wohnung seiner Ex-Freundin hat anfertigen lassen. In die schleicht er, um zu kontrollieren, wie sie mit ihrem "Neuen" zusammenlebt.

Dann begegneten die 30 Zuhörer im Schmöker-Café der kiffenden Tochter eines Architekten-Ehepaars. Die 20-Jährige träumt davon, ein neo-klassizistisches Schloss aus Glas zu bauen, was daran scheitert, dass die Noten auf dem Abiturzeugnis für ein Architekturstudium zu schlecht sind.

Ihre Freudinnen rennen indes "im Kostümchen" auf den Campus. Sie hören Vorlesungen in Zahnmedizin, Jura oder Betriebswirtschaftslehre. Deren Freunde sind in Parfümwolken von Armani gehüllt. Die Berliner Schriftstellerin spart nicht mit grotesken Klischees in aufwühlender Sprache über das pulsierende Leben in der Hauptstadt.

Die Figuren aus "Café Brazil" hat Dückers aus dem Berliner Treff gleichen Namens entliehen. "Das mediterrane Café ist ein Synonym für unterschiedliche Leute und Stimmungen", sagte Dückers. Von einem weiteren Ort lässt sich die Schriftstellerin inspirieren: ein Altenheim, in dem sie ihre Großeltern besucht. "Das Altenheim ist ein interessanter Rahmen", sagte Dückers. Die akribisch ausgesuchten Facetten der Figuren seien nicht autobiographisch. "Eher sehe ich dort Leute, zu denen ich mir was ausdenke."

So beruht die Figur der Frau Minzlin auf einer mehr oder weniger wahren Begebenheit. Die ältere Dame tauchte bislang in jedem von Tanja Dückers Kurzprosa-, Lyrik- oder Erzählbänden auf. "Da mache ich mir einen Gag draus, sie immer wieder erscheinen zu lassen."

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