Die Sinfonie mit dem Hammerschlag

Jukka-Pekka Saraste und das WDR-Sinfonie-Orchester Köln eröffnen das Rheinische Musikfest in der Bonner Beethovenhalle mit einer großartigen Aufführung von Gustav Mahlers Sechster - Publikum euphorisch

  Jukka-Pekka Saraste  probt in der Beethovenhalle mit dem WDR-Sinfonie-Orchester Mahlers sechste Sinfonie.

Jukka-Pekka Saraste probt in der Beethovenhalle mit dem WDR-Sinfonie-Orchester Mahlers sechste Sinfonie.

Foto: Müller

Bonn. Mit der Armada seiner Klangkörper aus Sinfonie-Orchester, Rundfunk-Orchester, Rundfunk-Chor und Big-Band hat der Westdeutsche Rundfunk nach Ansicht seines Intendanten Fritz Pleitgen "das Beste" entsandt, "was er hat", um, wie jedes Jahr, das soeben eröffnete und noch bis zum 19. Juni währende Rheinische Musikfest maßgeblich mitzugestalten.

Erstmals findet die durch den WDR 1984 wiederbelebte, auf die "Niederrheinischen Musikfeste" des 19. Jahrhunderts zurückgehende Veranstaltungsreihe nun 2005 in Bonn statt. Für einen grandiosen Auftakt sorgte mit Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 6 das WDR-Sinfonie-Orchester Köln unter Leitung von Jukka-Pekka Saraste.

Das bei seiner Uraufführung 1906 im Rahmen des Tonkünstlerfestes des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Essen seitens der Kritik mit Skepsis aufgenommene, angesichts seiner zirka 90 Minuten Spieldauer monumental wirkende Werk hat so recht immer noch nicht Eingang ins Repertoire gefunden, möglicherweise, weil man - bestärkt von Alma Mahlers diesbezüglichen Äußerungen - bis heute einen gewissen programm-musikalischen Odeur wahrzunehmen glaubt.

Probates Mittel gegen ein derart hartnäckiges Missverständnis ist die Abstraktion. Mahler selbst schien darum zu wissen und hatte orakelt, dass sich an die "Rätsel" dieser Sinfonie "nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf aufgenommen und verdaut hat". Neuartig ist bei diesem Werk nicht sein formaler Aufbau, seine Struktur, sondern das sinfonische Klanggefüge. Herdenglocken spielen dabei eine gewisse Rolle und ein riesiger Holzhammer, dessen dumpfer Klang als Schicksalsschlag autobiografisch (miss-)verstanden wurde.

Saraste indes ist gefeit vor solchen Fehlschlüssen. Er analysiert und liest den musikalischen Text der als "Tragische" apostrophierten a-Moll-Sinfonie idiomatisch stringent als absolutes Artefactum, als unbedingten Willen zur Erweiterung des sinfonischen Klangs. Dabei gewichtet er die Orchestergewalten sehr inspiriert, wobei er einen stets zügigen Grundduktus bevorzugt, schafft den einzelnen Apparaten kammermusikalische Luft und bleibt so bei aller Fülle stets sauber durchhörbar.

Sorgfältig achtet er darauf, dass die Herdenglocken, wie Mahler in die Partitur notiert hat, "sehr diskret behandelt" werden, um dem Eindruck einer allzu realistischen Alpensinfonik entgegenzuwirken. Der Hammer bleibt völlig selbstverständlich integrierter Teil des üppigen Schlagwerks. Von anrührender Intensität ist das Andante (mit einem wunderbar beseelten Englisch-Horn-Solo), einer jener endlos melancholisch schönen Sätze Mahlerscher Sinfonik, die zwischen Himmel und Erde zu changieren scheinen.

Die akustisch von verschiedenster Seite immer wieder geschmähte Beethovenhalle erweist sich bei solch großorchestralem Aufgebot als nachgerade idealer Klang-Raum, in welchem nichts verloren geht - aber auch nichts verborgen bleibt. Diesbezüglich indes sind die "Kölner" als öffentlich-rechtliche Universalisten ohnehin über jeden Zweifel erhaben, zumal sie nicht erst unter ihrem Chefdirigenten Semyon Bychkov bereits Beeindruckendes in Sachen Mahler vorgelegt haben. Der exemplarische Ergebnis wurde vom Publikum euphorisch gefeiert.

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