Mit Brecht im schamfreien Raum

Karin Hempel-Soos und Konrad Beikircher nehmen bei der Hommage im Bonner Hotel Königshof kein Blatt vor den Mund

  Sie hatten sichtlich ihren Spaß : Karin Hempel-Soos und Konrad Beikircher warfen sich beim Brecht-Abend gekonnt die Bälle zu.

Sie hatten sichtlich ihren Spaß : Karin Hempel-Soos und Konrad Beikircher warfen sich beim Brecht-Abend gekonnt die Bälle zu.

Foto: Fischer

Bonn. Drei Stühle standen auf der Bühne im Goldenen Saal des Hotels Königshof, aber nur zwei waren besetzt.

Daher zeigte Karin Hempel-Soos zu Beginn der Veranstaltung auf den leeren Stuhl und erklärte: "Da, hier sitzt Bertolt Brecht!" Gemeinsam mit dem Kabarettisten und Musiker Konrad Beikircher gestaltete Hempel-Soos, Leiterin des Bonner Hauses der Sprache und Literatur, zum 50. Todestag Brechts in diesem Jahr einen Abend mit Gedichten und Liedtexten des Titanen der deutschen Literatur.

Wie allerdings schon der Titel des Programms, "brecht Brecht" andeutete, galt das besondere Interesse der beiden auch den deftigeren Texten Brechts.

Begonnen wurde zunächst mit dem immer aktuellen politischen Brecht, der zum Beispiel im "Lied von der Tünche" die Methode karikiert, "alles so zu machen, dass es noch mal geht", der im "Lied vom Klassenfeind" weiß: "wenn ich ihr Schaf bin, dann werd ich ihr Metzger nie" und dessen verarmte "Käuferin" zu dem im Medienzeitalter mehr denn je gültigen Schluss kommt:

"Wenn wir alle, die nichts haben / Nicht mehr erscheinen, wo das Essen ausliegt / Könnte man meinen, wir brauchten nichts." Aber noch vor der Pause deutet sich mit der erbarmungslosen und weniger politischen "Seeräuberjenny" aus der "Dreigroschenoper" ein Wandel an, die Gedichte werden moralisch schonungsloser und nehmen, ganz im Sinne Brechts, kein Blatt mehr vor den Mund wenn es um Sexualität oder Gewalt geht.

Nach der Pause folgen gar Texte, die selbst heute noch derbe zu nennen sind. Brecht bedient sich der direktesten, nämlich häufig der vulgärsten Sprache, nennt die Dinge beim Namen und schafft sich einen schamfreien Raum ohne Tabus, jedoch gerne mit Moral. Die beiden Vorleser drehen ab hier merklich auf.

Schon von Anfang an drangsalierte man sich liebevoll mit unerwarteten Einwürfen und spitzfindigen Kommentaren zum Gelesenen. Mit dem Fall der Schamgrenze im Text scheinen auch die Leser ihre Hemmungen zu verlieren, man stichelte gerne und nahm die gesamte Angelegenheit nicht zu ernst.

Beikircher ließ sich gar zu Parodien von Brecht, Marcel Reich Ranicki und anderen Literaten hinreißen. Hier wurde, so angenehm komisch und auflockernd es war, gelegentlich das Maß verfehlt, da die Gedichte zu nebensächlich zu werden drohten.

Wohl deshalb las man manchen Text auch zwei mal vor. Brecht ist jedoch schwer verwüstlich und das Programm war gut konzipiert, so dass der Abend mit einem ungezwungenen Wechsel aus melancholischen und unverfrorenen Reimen endete.

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