"Rayahzone" Tanzgastspiel in der Oper

Bonn · In einer der eindrucksvollsten Szenen dieses Tanztheaters sitzen die beiden Brüder vereint auf einem Stuhl und zeigen ihre Beine. Es sind drei, weil dem Tänzer Hèdi Thabet wegen einer Knochenkrebs-Erkrankung mit 19 Jahren ein Bein amputiert werden musste.

 Wanderer zwischen den Welten: Szene aus "Rayahzone".

Wanderer zwischen den Welten: Szene aus "Rayahzone".

Foto: Dan Audcante

Auf seinen Krücken scheint er indes zu schweben, entwickelt akrobatische Tanzfiguren und eine atemberaubende Ausdruckskraft. Mit den Zähnen seiner Tierschädel-Maske zieht er seinem älteren Bruder Ali das Jackett weg, stützt und trägt ihn aber auch in der Zone zwischen Tod und Leben.

Diese Zone ist ein unwirtlicher Hinterhof irgendwo in Nordafrika. Kahle Mauern, eine Metalljalousie, ein stählernes Gerüst für aberwitzige Turnübungen und waghalsige Sprünge über die Grenzen des engen Raums. Das arabische Wort "rayah" bedeutet "Reise". Wanderer zwischen den Welten sind Ali und Hèdi Thabet, Söhne einer Belgierin und eines Tunesiers. In ihrer 2012 am Théâtre de Suresnes Jean Vilar bei Paris uraufgeführten Produktion "Rayahzone", die inzwischen bei zahlreichen europäischen Festivals gastierte, arbeiten die beiden Choreographen und Tänzer zum ersten Mal zusammen. Beide sind ausgebildete Zirkuskünstler in der spezifisch französischen Tradition, die stärker auf theatrale Elemente setzt als auf rein körperliche Kunststücke.

In der Artistik verwurzelt ist auch der französische Tänzer Lionel About, der als dritter im Bunde zunächst als eine Art Animateur munteren Beifall abgreift, um dann eine Wand zu öffnen für die vier tunesischen Sufi-Musiker (ein Sänger fiel beim Bonner Gastspiel wegen eines Autounfalls tags zuvor leider aus), die den Raum spirituell erweitern. Ihre Stimmen entfalten eine archaisch fremdartige Klangwelt, die das Bühnengeschehen aus der spielerischen Gegenwart in eine unbegrenzte Zeitdimension verschiebt. Der konkret hörbare Tänzeratem mischt sich aufregend mit dem Geistatem der Musik. Die zweibeinige Vernunft wird beflügelt von leichtfüßiger Ironie und einbeinig graziöser Standfestigkeit, die im Lebenskampf selbstbewusst jedem Irrsinn trotzt.

Der lange, begeisterte Beifall im diesmal nicht ganz ausverkauften Opernhaus bestätigte den Mut, eine höchst eigenwillige, aber wirklich in jeder Hinsicht beglückende Arbeit in der fabelhaften Reihe der "Highlights des internationalen Tanzes" zu präsentieren.

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