Bonner Professorin für Europapolitik Ulrike Guérot bei Markus Lanz: „Der Schlüssel liegt in Amerika“

Hamburg · Ein Gespräch über Waffenlieferungen in die Ukraine oder doch mal den Blick auf das große Ganze wagen, auch wenn es verflixt kompliziert ist? Wer „Lanz“ kennt, weiß, wie die Antwort ausfällt.

 Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ am 2. Juni 2022.

Die Talkrunde bei „Markus Lanz“ am 2. Juni 2022.

Foto: ZDF

Am Donnerstagabend hatte „Markus Lanz“ eine Sendung über die deutsche Ukraine-Politik und Berichte aus Kriegs- und Krisengebieten angekündigt.

Die Gäste:

  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Politikerin
  • Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin
  • Frederik Pleitgen, Journalist
  • Natalie Amiri, Journalistin

Darum ging’s:

Um die Ukraine. Und darum, wer am lautesten über andere hinwegreden kann.

Der Talkverlauf:

Bei der Vorstellung der Gäste macht Moderator Markus Lanz sogleich klar, warum zwei von ihnen eingeladen sind: Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hatte jüngst etwas geäußert, dass die streitbare FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann „irre“ fand. Und zwar nicht im begeisterten, sondern eher im pathologischen Sinne. Nun sollen sie sich auseinandersetzen. Nun gut, Information scheint ja ohnehin nicht das Ziel einer Talkshow zu sein.

Erst mal aber spielt Lanz das bei ihm übliche Deutungsspiel: Ein Gast soll sagen, was ein nicht anwesender Politiker mit einer Äußerung gemeint hat. In diesem Fall geht es um eine Ankündigung von Waffenlieferungen aus dem Munde von Bundeskanzler Olaf Scholz, und der Zeiger fällt auf Strack-Zimmermann. „Da müssten Sie ihn einladen und mal selber fragen“, sagt sie. Schließlich war sie ja eingeladen worden, um anderen Saures zu geben. Dann liefert sie die gewünschte Deutung: Es gebe viel Druck.

„Es ist jetzt möglicherweise eine Kehrtwende eingetreten“, sagt der Journalist Frederik Pleitgen mit Blick auf die Äußerungen des Kanzlers. Der Journalist gibt dabei der Waffe die Ehre: Er ist der Ansicht, eine Lieferung von Langstrecken-Artillerie „könnte sehr, sehr wichtig werden, auch für das Ansehen Deutschlands“. Pleitgens Rezept für die aktuell arg bedrängte Lage der Ukrainer im Donbass: Sie bräuchten Waffen, die weiter, genauer und härter schießen.

Der Journalistin Natalie Amiri, die zuletzt aus Afghanistan berichtete, wird es mulmig, weil in Deutschland nur noch über Waffen gesprochen werde und nicht über die Metaebene. „Wieso sind wir in diese Situation gekommen? Wir sprechen überhaupt nicht über Krisenprävention“, sagt sie. „Auf der gesamten Welt bin ich immer in Ländern unterwegs, wo wir eine falsche Außenpolitik betrieben haben.“ Amiri fordert deshalb eine Zeitenwende in der Außenpolitik: „Dass wir Krisenprävention machen und nicht nur die Krisen irgendwie bewältigen.“

Auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot findet den Fokus auf Waffenlieferungen zu eng. Sie könne sich an keinen Konflikt der letzten Jahre erinnern, der militärisch entschieden wurde. Sie nennt verschiedene Experten und Machtträger, die Forderungen nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen in die Debatte trügen. „Ich habe das Gefühl, dass die ganze Welt schon ihre Diskussion dreht, und nur wir in Deutschland immer noch bei schwerem Gerät sind.“ Die Professorin für Europapolitik an der Universität Bonn fordert die Talkrunde auf, von der taktischen auf die strategische Ebene zu wechseln – und nach dem Ziel zu fragen.

Guérot vertritt zudem die Ansicht, mindestens vier Kriege seien in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Neben dem Angriffskrieg vom 24. Februar nennt sie den andauernden Bürgerkrieg in der Ukraine, den Informationskrieg, sowie einen in ihren Augen längst begonnenen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA beziehungsweise Russland und der Nato. Deshalb plädiert sie auf einen Waffenstillstand plus Gespräche zwischen dem russischen Machthaber Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden. „Der Schlüssel liegt in Amerika“, sagt sie, „weil es Putin zentral darum geht, Sicherheitsgarantien zu bekommen.“

Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann glaubt dagegen nicht an eine Chance auf Gespräche. Sie erinnert daran, dass Putin bereits seit 2008 das Existenzrecht der Ukraine in Frage gestellt habe. Strack-Zimmermann führt die unmenschlichen Vorgänge in der Ukraine, die sie ausführlich beschreibt, als Argument gegen Verhandlungen ins Feld. Putin lehne Gespräche ab, beharrt sie. „Woher wissen Sie das denn?“, fragt Guérot. Daraufhin fährt ihr Pleitgen in die Parade. Die USA hätten vor dem Krieg „alles versucht“, um den Krieg zu verhindern. Allerdings führt er dabei zunächst nur Drohungen seitens des US-Präsidenten an. Schließlich kommt er zwar auf Gespräche zwischen den Außenministern, bei denen er aber klare Grenzen absteckt.

„Das zentrale Element bei Verhandlungen ist Neutralität“, wendet Guérot daraufhin ein, aber erst nachdem sie sich mit Mühe und ohne Eingreifen des Moderators gegen Unterbrechungen von Pleitgen und Strack-Zimmermann durchsetzt. Nun schaltet sich Lanz doch noch ein, aber nur, um der Politikwissenschaftlerin Begriffe vorzuhalten – allem voran „Bürgerkrieg“. Damit bezieht sich Guérot offenbar auf die seit vielen Jahren andauernden Kampfhandlungen im Donbass. Lanz zeigt sich geharnischt, findet aber selbst keinen besseren Begriff. Suchend wendet er sich an Pleitgen. Der spricht von einem „Aufstand“, der von Russland finanziert worden sei.

Schließlich versucht die Politikwissenschaftlerin es so: „Ich glaube, die Frage ist: Haben wir hier eine Analyse, die darauf beruht, dass sozusagen Putin alleine das Übel ist?“ – „Die Antwort ist ja“, erwidert Lanz. Das sieht Guérot aber anders. Zwar sei auch sie ganz klar der Ansicht, Putin sei Schuld am Krieg. „Aber wenn Sie nicht kontextualisieren wollen, was vorher war …“ Nun fällt ihr abermals Strack-Zimmermann ins Wort: „Jetzt fangen Sie schon wieder an, den Überfall zu rechtfertigen.“ Guérot betont: „Ich möchte überhaupt nichts rechtfertigen, ich möchte das Blickfeld öffnen.“ Nur mit einem Gesamtbild würde man zu einer Lösung kommen.

Eine solche Analyse hätte spannend werden können, ist in der Sendung aber offenbar nicht vorgesehen. Stattdessen bekommen Zuschauer viel von Anstand und Moral zu hören – ausgerechnet in diesem Zusammenhang zitiert Lanz seine Sendung vom Dienstag, in der er das Leid einer Ukrainerin voyeuristisch ausgeschlachtet hatte – sowie eine volle Kanne Vorwürfe der Marke „würde, würde, hätte“ (Guérot) oder „alles, was Sie sagen, sagt das Gegenteil“ (Pleitgen) und eine zurückhaltende, konsterniert dreinblickende Strack-Zimmermann. Mitunter werden Fragen gestellt, die die Fragensteller gleich selbst beantworten, freilich ohne Erkenntnisgewinn, dann geht das Geschrei weiter. Und so, liebe Leserinnen und Leser, gibt es in dieser TV-Nachlese eine Premiere: Ihre stellvertretende Lanz-Guckerin schaltete ab. An diesem Punkt ist die Sendung 32 Minuten gelaufen – von insgesamt einer Stunde und 14 Minuten Sende- und Lebenszeit.

(peng)
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