Neu im Kino: „Maigret“ Verletzlicher Kommissar

Bonn · Patrice Leconte hat die Rolle des Kommissars Maigret auf d.en Schauspieler Gérard Depardieu maßgeschneidert

 Gérard Depardieu (l.) als Maigret und Mélanie Bernier als Jeanine in einer Szene des Films „Maigret“.

 Gérard Depardieu (l.) als Maigret und Mélanie Bernier als Jeanine in einer Szene des Films „Maigret“.

Foto: dpa/Pascal Chantier

Als Kommissar Maigret von unten hoch ins Treppenhaus schaut, bündelt sich alle Müdigkeit der Welt in seinen Augen. „Kann irgendjemand trauriger schauen als Gérard Depardieu?“, fragt man sich in diesem Moment. Und es will einem niemand einfallen. Oben unter dem Dach des Pariser Mietshauses sind die „chambres des bonnes“. Einst waren hier die Dienstmädchen untergebracht. Jetzt werden die Kammern vornehmlich an junge Frauen aus der Provinz vermietet, die mit wenig Geld und großen Hoffnungen auf ein neues Leben im Paris der Fünfzigerjahre gelandet sind. So wie die tote Louise Louvière (Clara Antoons), die mit sieben Messerstichen im Bauch nachts auf dem Straßenpflaster gefunden wurde. Es hilft nichts. Maigret muss da hoch. Er ist es der jungen Frau schuldig, deren zarte Leiche den betagten Kriminalisten aus der Routine gerissen hat.

Warum, das erfährt man erst viel später. Da steht Maigret zu Hause im Bad und rasiert sich. Er hat die junge Streunerin Betty (Jade Labeste), die ihn bei seinen Ermittlungen unterstützt hat, zu sich nach Hause eingeladen. Nun sitzt sie mit seiner Frau am Frühstückstisch. Ihre Stimmen und ihr Lachen sind durch die angelehnte Badezimmertür zu hören.

Ein kurzes Lachen

Und plötzlich verwandelt sich das schwermütige Gesicht des Kommissars zu einem ersten und letzten kurzen Lächeln. Ein Lächeln, das tief aus der Erinnerung kommt – der Erinnerung an die eigene verstorbene Tochter. All dies erzählt Depardieu in Patrice Lecontes „Maigret“ ohne ein einziges Wort. Der Blick, die Schwere, die Erinnerung und das Lächeln hat der 74-jährige Schauspieler in seinen massigen Körper eingearbeitet. Charles Laughton, Jean Gabin, Heinz Rühmann, Rowan „Mr. Bean“ Atkinson – schon viele haben den Kommissar in Verfilmungen der 75 Romane von Georges Simenon gespielt. Aber so alt und schwermütig hat man Maigret noch nie gesehen. Leconte hat seine freie Adaption von „Maigret und die junge Tote“ wie einen Maßanzug um seinen Hauptdarsteller zurechtgeschneidert. Im Gegenzug hat Depardieu alle virilen Lebemann-Attitüden restlos abgelegt. Auch wenn sein Maigret standesgemäß mit Hut und weitem Mantel bekleidet ist, wirkt die Figur unter der Hülle so nackt und verletzlich wie das Opfer in der Pathologie. So etwas muss man erst einmal spielen können.

Maigret geht es weniger darum, den Mörder zu finden und dessen Tat zu rächen. „Ich verurteile niemanden“, so lautete schon immer das Mantra des eigenwilligen Kommissars, dessen wichtigstes Ermittlungsinstrument das eigene Empathievermögen ist.  Denn im Grunde will der Kriminalist nicht den Täter überführen, sondern das Opfer durch seine Ermittlungen wieder zum Leben erwecken. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Das weiß auch Maigret, wenn er durchs Treppenhaus hoch in den sechsten Stock blickt und die ersten Stufen nimmt. Rex, LVR Landesmuseum, Brotfabrik

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