Der Fall Anna Pflegemutter spricht zu Annas Mutter

Bad Honnef/Bonn · Es gab sie, die Menschen, die verhindern wollten, dass Anna etwas zustößt. Sie alle scheiterten - an der Frau auf der Anklagebank und den professionellen Helferinnen, die sich allem Anschein nach von ihr manipulieren ließen.

Der Fall Anna: Pflegemutter spricht zu Annas Mutter
Foto: Roland Kohls

Dieser erschütternde Eindruck entsteht am achten Tag im Prozess gegen die Pflegeeltern des neunjährigen Mädchens, das an diesem Tag durch die Aussagen der Zeugen klare Konturen bekommt und als fröhliches, freundliches, offenes Kind beschrieben wird. Allen voran von Annas leiblicher Mutter, die als erste in den Zeugenstand tritt.

Mit bemerkenswerter Fassung bewältigt die 44-Jährige ihre Vernehmung und wahrt sie auch, als die 52-Jährige auf der Anklagebank, die Anna immer wieder misshandelt und am 23. Juli in der Badewanne zu Tode gebracht haben soll, ihr Schweigen im Prozess bricht, sich an Annas Mutter wendet und mit regloser Miene sagt: "Es tut mir so unendlich leid, ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren. Mehr kann ich dazu nicht sagen."

"Du lügst, du lügst", ruft Annas Tante aus dem Zuschauerraum und schluchzt haltlos. Zuvor hatte auch der Pflegevater beteuert: "Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir tut, was passiert ist. Wir haben Anna doch lieb gehabt." Ihm entgegnet die Mutter: "Warum habt ihr mich nicht angerufen?"

Statt dessen hätten sie, so sagt Annas Mutter, den Kontakt zu ihrem Kind hintertrieben, bis er völlig abgebrochen worden sei. "Ich habe mein Kind Weihnachten 2008 zum letzten Mal gesehen", sagt sie mit brüchiger Stimme. Dabei war sie anfangs mit den Pflegeeltern, bei denen Anna die ersten beiden Male nur vorübergehend untergebracht wurde, einverstanden. Und auch Anna sei dort gerne gewesen.

Sie gibt offen zu, dass sie so große Alkoholprobleme gehabt habe, dass sie selbst 2006 das Jugendamt um Hilfe gebeten habe. Aus Sorge um Anna und deren fünf Jahre älteren Bruder. Und weil sie den Pflegeeltern vertraut habe, sei sie auch dafür eingetreten, dass Anna 2008 vom Heim aus wieder zu ihnen komme und nicht zu den besser qualifizierten Fachpflegeeltern, die im entfernteren Asbach leben. Die für Anna zuständige Jugendamtsmitarbeiterin aus Königswinter sei einverstanden gewesen.

Doch schon nach wenigen Monaten sei ihr Kontakt zu Anna schwierig geworden, weil er, so wurde ihr gesagt, Anna zu sehr belaste. Sie glaubte es nicht. Anna habe sich immer nach ihr gesehnt. Schließlich habe sie nur noch in den Hilfeplangesprächen, an denen sie beteiligt wurde, über Annas Befinden gehört und kaum geglaubt, was dort gesagt wurde: Anna mache Probleme beim Essen, habe Angst vor Wasser, mache Probleme beim Baden.

Alles, was sie von ihrer fröhlichen und aufgeweckten "Motte" nicht kannte. Schließlich habe sie die Pflegemutter bei einem solchen Gespräch gefragt: "Könnt ihr das Kind überhaupt halten?" Sie habe die Jugendamtsmitarbeiterin gebeten, eine andere Familie zu suchen. Doch die habe abgelehnt.

Als das Gericht der Mutter das Protokoll des letzten Hilfeplangesprächs vorliest, das am 1. Juli 2010 stattfand und das Datum 25. Juli trägt, zwei Tage nach Annas Tod, sagt sie an vielen Stellen: Das war gar kein Thema. Als sie den Saal verlässt, bricht ihre Fassung. Um das alles zu bewältigen, will sie nun eine Therapie machen.

Gequält wirkt auch ein Zeuge, der alles versuchte, um Anna zu helfen: ihr Schulleiter. Wie Annas Klassenlehrerin kam auch ihm das Verhalten der dominanten Pflegemutter seltsam vor, und ihre Geschichten von Annas angeblicher Wasserphobie passten nicht zu seinem Bild von dem Kind, das gerne schwamm.

Und dann wandte sich die Nachbarin mehrfach an ihn und berichtete ihm von Annas ständigem Schreien mitten in der Nacht, und davon, dass das Kind nackt auf die Straße gelaufen und die Polizei da war. Er sprach mit der Pflegemutter, deren Erklärungen ihn nicht überzeugten. Er wandte sich an die Jugendämter Bad Honnef und Königswinter, mehrfach, er schilderte seine Sorge um Anna.

Und hörte nur: kein Handlungsbedarf. Schließlich sei es zu einem Gespräch mit der Jugendamtsmitarbeiterin und der Pflegemutter gekommen, er habe erneut auf die Widersprüche zu seinen eigenen Beobachtungen von Anna hingewiesen. Und "mit Tränen in den Augen" habe die Pflegemutter von Annas schwerer Traumatisierung gesprochen und gesagt, sie wisse auch nicht, ob sie das schaffe.

Reaktion der Jugendamtsmitarbeiterin: Sie habe die Pflegemutter für ihr Engagement gelobt. Und auch von Annas Therapeutin, mit der er ebenfalls geredet habe, habe er nur gehört: Er brauche sich keine Sorgen zu machen, Anna gehe es bei Familie W. gut. "Mein Bauchgefühl hat mir was anderes gesagt", erklärt er

Doch er habe den Profis vertraut, weil er dachte, die wüssten es besser und weil sie ihm versicherten, Anna werde begleitet vom Jugendamt. Schwurgerichtsvorsitzender Josef Janßen macht dem Mann, der sich sichtlich quält, klar: "Sie haben alles getan, was man nur tun konnte." Aber wirklich zu helfen scheint das dem Mann nicht, der alles tat und das Kind doch nicht retten konnte.

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