Interview mit Reinhard Bartha Superintendant: "Wir sollten Reformstress vermeiden"

SIEGBURG · Sparmaßnahmen, Strukturdiskussionen, demografischer Wandel: Die evangelische Kirche durchlebt schwierige Zeiten. Wie der Kirchenkreis an Sieg und Rhein mit diesen Herausforderungen umgeht - darüber sprach Superintendent Reinhard Bartha mit Dominik Pieper.

 Superintendent des evangelischen Kirchenkreises an Sieg und Rhein: Reinhard Bartha beim Interview in der Siegburger GA-Redaktion.

Superintendent des evangelischen Kirchenkreises an Sieg und Rhein: Reinhard Bartha beim Interview in der Siegburger GA-Redaktion.

Foto: Michael Lehnberg

Seit 2012 sind Sie Superintendent. Wie schätzen Sie Ihre Zwischenbilanz ein?
Reinhard Bartha: Ich habe mich schnell eingefunden. Vorher war ich ja schon 16 Jahre lang stellvertretender Superintendent. Von daher wusste ich, was mich da erwartet. Man Anliegen war: Wir müssen als Kirche ein gutes Mannschaftsspiel praktizieren. Das ist gut gelungen, es gibt viele positive Entwicklungen, viele positive Dinge sind auf den Weg gebracht worden. Manchen Konflikt, den ich "geerbt" habe, konnten wir lösen. Insbesondere auch mit Blick auf die nötigen Konsolidierungen ist es gut, eine so wirksame Führungscrew zu haben.

Sie meinen Sparmaßnahmen?
Bartha: Wir haben uns in manchen Bereichen etwas überdehnt. 1950 gab es in Deutschland 40 Millionen Protestantinnen und Protestanten, und die Kirche hatte weit unter 100 000 Mitarbeitende. Heute gibt es 23 Millionen Evangelische, Tendenz fallend, aber 450 000 Mitarbeitende. Sicher: Die sind in Krankenhäusern, Kindergärten oder Beratungseinrichtungen tätig - alles Einrichtungen, die unheimlich wichtig sind.

Muss sich die Kirche von dem einen oder anderen trennen?
Bartha: Wir wollen unser Feld beackern, so weit es geht. Aber natürlich müssen wir auch sparen. Wir mussten uns etwa fragen, ob es zu unseren Kernaufgaben gehört, eine Tagungsstätte wie den Malteserhof in Oberdollendorf zu betreiben. Die Herbstsynode hat beschlossen, ihn bis 2016 aufzugeben. Das ist ein Einschnitt, und für die Mitarbeitenden ist es natürlich eine Katastrophe. Wir wollen aber nicht mit der Brechstange herangehen, sondern sozialverträglich.

Stehen andere Einrichtungen zur Disposition? Müssen Kirchengemeinden fusionieren?
Bartha: Derzeit nicht. Unsere Gemeinden haben ein hohes Maß an Eigenständigkeit, auch wenn wir als Kirchenkreis bestimmte Dinge steuern können. Mir ist es wichtig, dass wir ein Miteinander und kein Gegeneinander haben. Man muss aber auch sehen, dass wir in einer wirtschaftlich starken Region leben. Wir haben keine Abwärtsentwicklung, wie sie in anderen Kirchenkreisen zu verzeichnen ist. Denken Sie nur an das Ruhrgebiet.

Haben Sie kein Problem mit Kirchenaustritten?
Bartha: Das weniger. Vor 20 Jahren hatte der Kirchenkreis 125 000 Mitglieder, jetzt sind es 121 000. 2012 hatten wir 781 Austritte, aber auch 381 Eintritte. Man kann also nicht sagen, dass uns der Boden wegbricht. Ein Problem sehe ich auf Dauer eher im demografischen Wandel und im Verhältnis von Weg- und Zuzügen.

Also werden Sie sich auf Dauer mit Strukturfragen auseinandersetzen müssen, oder?
Bartha: Es gab in der evangelischen Kirche - wie zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg im Rheinland - Phasen des starken Wachstums, jetzt haben wir einen Prozess der Schrumpfung. Darauf muss man sich einstellen. Wir sollten aber Reformstress vermeiden. Wir dürfen über die Strukturdiskussion nicht die geistliche Dimension vernachlässigen. Wenn wir dem gerecht werden, spüren die Menschen das, und dann bleiben sie auch dabei.

Wie wollen Sie diejenigen ansprechen, die mit Kirche nichts oder nichts mehr anfangen können?
Bartha: Es gibt sicherlich viele Menschen, die Kritik an der Kirche als Institution üben. Ich bin mir aber sicher, dass es immer noch große Sehnsüchte in Sachen Religion gibt. Da geht es um die großen grundsätzlichen Fragen, um den Sinn des Lebens. Die Welt giert förmlich nach Sinn. Wir müssen darauf in zeitgemäßen Formen Antworten geben.

Wie und wo wollen Sie die Menschen erreichen?
Bartha: Wir sind für die Menschen da, die uns brauchen. Ein wichtiges Beispiel ist da die Arbeit mit Trauernden. In solchen Lebenssituationen bekommt man einen Draht auch zu Menschen, die vorher nie im Leben etwas mit Religion zu tun hatten. Wir haben auch deshalb eine Koordinierungsstelle für Notfallseelsorge geschaffen. Die mit Albrecht Roebke übrigens hervorragend besetzt ist. Wir dürfen nicht schwarz malen, wir haben eine reale Chance. Ich selbst bin 68er und komme aus einem antikirchlichen Umfeld - und bin trotzdem zur Kirche gestoßen.

Wie das?
Bartha: Ich komme aus Berlin-Neukölln. Das war Arbeitermilieu, meine Familie war atheistisch. Eines Tages bin ich einem evangelischen Jugendpfarrer begegnet. Der hat mich richtig gepackt! Der brachte mich dazu, ehrenamtlich in der Seniorenarbeit zu helfen. Da habe ich gelernt, dass sich nicht alles im Leben um Geld dreht. Später bin ich dann zum Theologiestudium nach Bonn gegangen.

Und heute? Inwieweit haben Sie mit Nachwuchsproblemen im Pfarramt zu kämpfen?
Bartha: Die Zahl der Bewerbungen ist tatsächlich zurückgegangen. Wir hatten zuletzt bei freien Pfarrstellen in Niederkassel und in Aegidienberg fünf beziehungsweise zehn Bewerbungen, das wären früher mehr gewesen: 70 oder 80. Aber auch da sind wir nicht so stark betroffen wie andere Kirchenkreise. Teilweise hängt diese Entwicklung mit dem veränderten Biografieverhalten der jungen Menschen zusammen. Man legt sich nicht mehr so früh und so klar auf einen Beruf fest. Das gilt heute auch für die meisten Theologiestudierenden.

Die katholische Kirche hat einen neuen Papst, im Erzbistum Köln steht ein Wechsel an: Sind das gute Vorzeichen für die Ökumene?
Bartha: Zunächst einmal: Hier vor Ort arbeiten wir sehr gut zusammen. Vieles hängt aber vom Papst ab. Franziskus hat uns Anlass zu Optimismus gegeben. Ob er so weit geht, wie er es angedeutet hat, muss man abwarten. Joachim Kardinal Meisner war in Bezug auf die Ökumene für uns berechenbar - weil er immer ein klares katholisches Profil vertreten hat. Da ist die Frage, ob so eine Haltung für die Zukunft tragfähig ist. Wir hoffen, dass der neue Erzbischof mit dem rheinischen Katholizismus besser klar kommt. Denn der ist unserer Haltung nicht unähnlich.

Der Kirchenkreis

Der Kirchenkreis an Sieg und Rhein erstreckt sich von Overath im Norden über Beuel und das rechtsrheinische Gebiet des Rhein-Sieg-Kreises bis nach Neustadt im nördlichen Kreis Neuwied. Zu ihm gehören 121.000 Mitglieder in 33 Gemeinden, die teils auf die Reformationszeit zurückgehen. Insgesamt beschäftigt die Kirche im Kirchenkreis mehr als 600 Mitarbeiter.

Zur Person

Reinhard Bartha (62) stammt aus Berlin. 1972 kam er als Theologie-Student nach Bonn. Sein Vikariat absolvierte er in Beuel. Seit 1981 ist er Pfarrer in Lohmar-Wahlscheid, seit 2012 Superintendent des Kirchenkreises an Sieg und Rhein. Damit ist er Dienstvorgesetzter der Pfarrer und Mitarbeiter im Kirchenkreis. Reinhard Bartha ist verheiratet und hat zwei Töchter.

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