Gefahren für Tiere und Menschen im Rhein Arzneimittelrückstände im Bonner Abwasser entdeckt
Bonn · Rückstände von Arzneimitteln wie Antibiotika belasten derzeit das Bonner Abwasser. Um sie herauszufiltern, wäre eine neue Reinigungsstufe in den Kläranlagen notwendig.
Im Bonner Abwasser schwimmen auch nach der Reinigung in Kläranlagen deutlich mehr Rückstände von Arzneimitteln, als das Umweltbundesamt empfiehlt. Moderne Einrichtungen können Schmutz und Bakterien aus dem Klärwasser herausfiltern, viele Spurenstoffe hingegen nicht. Dazu sind die Kommunen auch nicht verpflichtet, weil gesetzliche Vorgaben fehlen. Das hat nicht nur Folgen für die Umwelt, sondern auch für die Menschen. Im April will das Hygieneinstitut der Bonner Uni eine Studie vorstellen.
Abwasser ist schon immer ein Bakterien- und Seuchenherd gewesen. Schon die Römer machten sich Gedanken darüber, wie sie das Problem lösen konnten. In der heutigen Römerstraße bauten sie ein fortschrittliches Kanalsystem, das giftiges Wasser aus ihrer Siedlung herausleitete. Heute geht es nur wenige Meter weiter, in der Kläranlage am Salierweg, um dieselbe Frage: Wie kann Abwasser unschädlich gemacht werden?
Am Salierweg und den drei weiteren Kläranlagen in Bad Godesberg, Beuel und Duisdorf wird das Abwasser nach demselben Prinzip aufbereitet: durch eine mechanische, biologische und chemische Reinigung. Die anfangs braune Brühe fließt zunächst durch ein Sieb, das grobe Stoffe filtert. Es folgt ein Vorklärbecken, das feine organische Stoffe entfernt. Mikroorganismen bauen im Belebungsbecken organische Stoffe ab. Im Nachklärbecken wird der Schlamm vom Abwasser getrennt. Chemische Reaktionen lösen Phosphor, Schwermetalle und Salze. Der verbleibende Klärschlamm landet in der Verbrennungsanlage am Salierweg.
2,4 Mikrogramm pro Liter Abwasser
Und das geklärte Wasser fließt in den Rhein. Es gilt als sauber, aber nicht als rein. Denn viele Stoffe können die Anlagen trotz moderner Technik nicht herausfiltern. Dazu zählen Rückstände aus der Chemieindustrie, aber auch Pflanzenschutz- und Arzneimittel. Wie verbreitet letztere im Bonner Abwasser sind, zeigen stichprobenartige Untersuchungen des Landesumweltamtes (Lanuv) und des Hygieneinstituts der Uni Bonn.
Demnach erreicht der Wirkstoff Diclofenac, der am meisten geschluckte Schmerz- und Entzündungshemmer, Werte von bis zu 2,4 Mikrogramm pro Liter Abwasser. Nach der Klärung bleibt davon etwa die Hälfte übrig. Als unverbindlichen Richtwert empfiehlt das Umweltbundesamt 0,05 Mikrogramm. „Wie überall in Siedlungen sind Arzneimittelstoffe auch in den Abwässern der Stadt Bonn enthalten“, erklärt die Stadtverwaltung in einer Stellungnahme, nachzulesen im Bonner Rats- und Informationssystem (Boris: 1813187).
Es gebe in Bonn weder regelmäßige Untersuchungen noch Richtlinien dafür, wie solche Spurenstoffe behandelt werden müssten. Dies sei „in Deutschland nur in einzelnen Fällen aufgrund besonderer gewässerlicher Situationen erlassen worden beziehungsweise Gegenstand von Forschungs- und Pilotprojekten“. Welche Folgen diese Mikroschadstoffe haben, ist lange bekannt. „Selbst geringe Mengen Diclofenac können die Nieren von Fischen und Fröschen schädigen“, sagt Pharmakologe Günther Weindl von der Uni Bonn.
Spurenstoffe verringern
Schon zu Beginn der 1990er Jahre wurde man auf Arzneimittelrückstände aufmerksam. Fischer fingen plötzlich mehr weibliche als männliche Fische, viele hatten Missbildungen oder waren verweiblicht. Ursache war die Antibabypille. Das darin enthaltene weibliche Hormon war durch menschliche Ausscheidungen im Abwasser und schließlich in Flüssen und Seen gelandet. Die Diclofenac-Werte, die im Bonner Abwasser gefunden wurden, seien laut Weindl „ganz ordentlich“, aber für den Menschen nicht gefährlich. „Solche Mengen tauchen überall in Deutschland auf.“ Ebenso wie bei beruhigenden Diazepamderivaten und Betablockern, die Herzfrequenz und Blutdruck senken.
Für den Menschen wird es heikel, wenn Antibiotika ins Spiel kommen. Das haben unter anderem Forschungen des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit an der Uni Bonn gezeigt. Dort beschäftigt man sich beim Projekt Hyreka mit der Frage, ob und wie sich resistente Keime über das Abwasser in die Umwelt ausbreiten – und wie das verhindert werden könnte. Dazu entnimmt das Forscherteam um Professor Martin Exner ständig Proben an der Kläranlage Salierweg und der Uniklinik. Erste Ergebnisse soll es im April geben.
Aber schon jetzt ist gut dokumentiert, dass Kläranlagen wie Brutstätten funktionieren. „In Kläranlagen können Keime ihre Resistenzinformationen untereinander austauschen“, erklärt Exner. Bakterien und Viren speichern wie alle Lebewesen ihre Eigenschaften in ihren Genen. Wenn sich diese Erreger vermehren, geben sie Merkmale weiter. Kurzum: Sie mutieren zu Superkeimen, gegen die es kaum noch Medikamente gibt. Dadurch lassen sich selbst Erkrankungen, die längst als besiegt galten, nicht mehr behandeln. „Dann kann eine einfache Wundinfektion tödlich enden“, sagt Exner. Mittlerweile wirkten sogar Antibiotika nicht mehr, die eigentlich nur im Notfall eingesetzt werden sollten.
Mit welchen Methoden das Abwasser besser gereinigt werden kann, hat das Lanuv schon 2015 betrachtet. Darunter die „granulierte Aktivkohle in der Filtration“, eine „Pulveraktivkohle-Dosierung“ sowie der Neubau einer Ozonanlage. Alle Varianten würden nicht alle Spurenstoffe eliminieren, aber sie gleich gut verringern – und die Stadt Bonn viel Geld kosten, weil es sich um freiwilligen Leistungen handelt.
„Die technologische Nachrüstung kommunaler Kläranlagen zur Mikroschadstoffentfernung kann aber vom Land NRW mit einem Zuschuss von bis zu 70 Prozent der zuwendungsfähigen Kosten“ noch bis 2019 gefördert werden, heißt es vom Lanuv Doch auch das würde die Abwassergebühren in Bonn steigen lassen. Eine „freiwillige Umsetzung“ sei laut Stadtverwaltung „derzeit nicht vorgesehen“.