Kommentar zum Flüchtlingsgipfel bringt Ergebnis Eine Einigung für den Moment

Meinung | Bonn · Der Streit ums Geld beim Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern im Kanzleramt ist vorerst beigelegt. Oder besser: Auf die lange Bank geschoben. Denn Verlässlichkeit für die besonders betroffenen Kommunen sieht anders aus, kritisiert GA-Redakteur Hagen Strauß.

 Präsentierten am Mittwochabend die Ergebnisse des Migrationsgipfels von Bund und Ländern: (v.r.) Bundeskanzler Olaf Scholz, Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

Präsentierten am Mittwochabend die Ergebnisse des Migrationsgipfels von Bund und Ländern: (v.r.) Bundeskanzler Olaf Scholz, Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Von einer schweren Krise des Föderalismus in Deutschland zu sprechen, ist zu hochgehängt. Aber die Verantwortungsgemeinschaft, als der sich Bund, Länder und Kommunen verstehen, hat einige Erschütterungen erlebt. Das hat sich rund um die Sonderkonferenz zur Flüchtlingsfrage im Kanzleramt gezeigt. Nur mit Mühe ist jetzt ein Kompromiss in der Finanzfrage gefunden worden. Einer, der aber nicht von Dauer ist. Es muss nachgearbeitet werden, denn eine Milliarde Euro reicht den Ländern und den Kommunen absolut nicht. Neuer Streit ist programmiert.

Wohl noch nie, auch nicht inmitten der Corona-Pandemie, als sich das „Team Vorsicht“ und das „Team Lockerung“ ihre Scharmützel lieferten, ist die Stimmung zwischen Bund und Ländern so vergiftet gewesen wie diesmal. Und wohl selten waren sich vor allem die Länder so einig. Denn: Über eine Million Menschen sind aus der Ukraine wegen des Krieges gekommen, die nicht durchs Asylverfahren müssen, dazu allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 100.000 Asylsuchende, ein Anstieg von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Es sind Menschen, die hier sind. Damit muss man jetzt umgehen. Weitere werden kommen, weil insbesondere europäisch eine gemeinsame Asylpolitik zur Utopie geworden zu sein scheint. Für die Kommunen, und das kann niemand ernsthaft bestreiten, ist das eine immense Herausforderung, an der so mancher Bürgermeister oder Landrat inzwischen schon verzweifelt. Und die Akzeptanz in der Bevölkerung schwindet. Es fehlen Kita- und Schulplätze, Integrationsangebote und Unterkünfte. Politisch vernünftig, gar dringend geboten wäre es daher gewesen, sich auf die Suche nach schnellen und pragmatischen Lösungen zu machen.

Das, was der Kanzler nach der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) an Maßnahmen vorgetragen hat, von Digitalisierung über Rückführungsabkommen bis hin zu m europäischen Asylsystem, wird dem nicht gerecht. Nichts davon greift zügig, vieles muss noch mit anderen Ländern verhandelt oder aber vom Bundestag erst auf den Weg gebracht werden. Sicher, was Scholz will, muss angegangen werden. Aber es dauert halt.

Im Finanzstreit über ein Pauschalsystem (Bund) und ein atmendes Modell (Länder) hätte man sich nicht so verkeilen müssen. Jetzt ist ein wenig Vernunft zurückgekehrt. Weil finanziell eine erste Lösung gefunden wurde. Zusätzlich zu dem, was der Bund bereits leistet, gibt es eine weitere Milliarde. Im November soll neuerlich beraten werden. So gewinnt man zumindest politisch etwas Zeit. Der lebhafte Meinungsaustausch, von dem der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil nach der Konferenz gesprochen hat, ist also noch lange nicht beendet. Die Grundsatzfrage bleibt ja: Wie wird mehr finanzielle Verlässlichkeit und Konstanz ins System gebracht? Eine Lösung ist hier nicht in Sicht. Das wird eine Herkulesaufgabe.

Bei der Ministerpräsidentenkonferenz hat sich auch gezeigt, dass die von der SPD geführten Länder dem Kanzler nicht mehr nur den Rücken freihalten. Auch die Ampel zieht in der Flüchtlingsfrage in unterschiedliche Richtungen. Für Scholz wird das Regieren nach der MPK deutlich schwieriger werden. Auch das gilt es, bei den weiteren Verhandlungen zu beachten.

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