Eine Welt voller Geheimnisse

Die Bundeskunsthalle zeigt mit der Ausstellung "Dogon - Weltkulturerbe aus Afrika" eine grandiose Schau.

Bonn. Einen spitzen Schrei und unmissverständliche "Weg, weg"-Rufe erntet, wer sich einem Friedhof im Dogonland in Mali nähert und wer in einen ebenso "unsichtbaren" Opferplatz hineinstolpert. Warnungen auch woanders: An den Ginnas, den schreinartigen Häusern, in denen die Familienclans der Dogon ihre Fetische und Heiligtümer aufbewahren, hängen zur Abschreckung totes Getier, Schädel und verzauberte Stoffbündel.

Es ist eine abgeschottete, von Verboten und drastischen Strafen geprägte Welt voller Geheimnisse, die nur weise alte Männer deuten und erklären können. Eine Gesellschaft der Tabus, insbesondere für Frauen, Kinder und erst recht die "gottlosen" Europäer.

In der Ausstellung "Dogon - Weltkulturerbe aus Afrika" der Bundeskunsthalle ruft niemand, gibt es keine Warnschreie. Wir betreten die geheimnisvolle Welt der Dogon barrierefrei, museal geklärt. Der Besucher sieht die Mythen der Dogon - ohne letztendlich die Rätsel lüften zu können. Und er sieht die Sünden der Europäer, die vor über hundert Jahren mit der Anmaßung des Herrenmenschen begannen, dieses Land zu plündern.

Erstmals riskiert die Bundeskunsthalle den kritischen Blick auf koloniale und postkoloniale Irrwege. Eine Perspektive, die bei ethnologischen Ausstellungen Seltenheitswert besitzt. Abgründe tun sich auf, Beispiele werden präsentiert, wie sich Europäer den schwarzen Kontinent untertan machten: So berichten die Akten des Reichskolonialamtes von brachialen Erziehungsmethoden, mit denen etwa die Konjugationsschwäche des greisen Jumben Uhu mit 150 bis 200 Hieben mit der Flusspferdpeitsche geahndet wurde.

Uhu überlebte den Unterricht nicht. Eingeborene aus Mali wurden in Völkerschauen und Kolonialausstellungen in Europa wie Zootiere präsentiert, mussten für die Kolonialmacht Frankreich im ersten Weltkrieg kämpfen und sich als Besatzungssoldaten im Rheinland von den Deutschen als "schwarze Schande" beschimpfen lassen.

Glücksritter, Wirrköpfe und Kunsträuber zog es nach Mali. Nicht jeder war so reinen Herzens wie der Linguist Gottlob Adolf Krause, der mit 126 Mark in der Tasche 1884 in Timbuktu landete und meinte: "Es gibt zwei Arten von Negern, solche, die in Lehrbüchern und den Köpfen von Europäern, und solche, die in Afrika vorkommen."

Schillernde Persönlichkeiten wie Marcel Griaule und Michel Leiris weideten sich am Mythos der Dogon und bedienten sich ungeniert aus deren Kunst-Fundus. Die Faszination, die die schlanken, sehr reduzierten Figuren mit ihren ausdrucksstarken Physiognomien ausüben, ist ungebrochen. Die archaische Schönheit und Wucht spitzbusiger Urmütter berührt ebenso wie die virile Kraft der Kämpfer und die Präsenz der alten weisen Männer mit ihren Bärten und kahlgeschorenen Köpfen.

Die europäischen Künstler der frühen Moderne, die Expressionisten, Matisse und Picasso wühlte die Kraft dieser afrikanischen Skulpturen auf. Vieles scheint undenkbar ohne diesen Einfluss. Die Bundeskunsthalle verzichtet auf diesen spannenden Dialog - zu Recht, denn er war schon oft Thema großer Ausstellungen.

Dafür konzentrieren sich die Bonner, die die mit fast 200 000 Besuchern sehr erfolgreiche Ausstellung des Pariser Musée du Quai Branly übernommen und erweitert haben, auf verschiedene Typen, Zeitstile und Regionen. Akribisch wird die Kultur der Dogon, eines Volkes mitten in Mali, aufgearbeitet.

Zentrale Motive sind Mutter-Kind-Gruppen, Bauerndarstellungen, mit hoch erhobenen Armen betende Männer und berittene Krieger. Durch und durch rätselhaft bleiben Figuren wie die riesige Skulptur mit erhobenem Arm aus dem 10. Jahrhundert aus Paris, einer der Stars der Ausstellung, halb Frau, halb Mann, mit kontemplativem Blick und expressiver Geste.

Der intensivste Raum beherbergt Ritualmasken, die den Betrachter aus 25 Augenpaaren anstarren: Eine wunderbare Affenmaske ist darunter, die bei aller Abstraktion noch das charakteristische Gesicht eines Pavians erkennen lässt.

Spektakulär auch die Kanaga-Maske, Vermittlerin zwischen Himmel und Erde. Sie gehörte einem Dogon-Tänzer, der 1931 bei der Kolonialausstellung in Paris aktiv war. 30 Millionen Menschen hatten damals das Spektakel im Bois de Vincennes gesehen. Die Surrealisten protestierten vehement dagegen.

Mali-Reisereportage und Rahmenprogramm##ULIST##

Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes und beschwerliche Wege, Hitze und deprimierende Armut: Vieles spricht gegen das Tourismusland Mali, und doch erliegt der Reisende schell dem Zauber dieses schönen Landes mit seinen faszinierenden Menschen. Weltkultur- und Weltnaturerbe der UNESCO treffen hier aufeinander. Lesen sie die Reisereportage im WOCHENENDE.

  • Ein Rahmenprogramm begleitet die Dogon-Ausstellung in der Bundeskunsthalle. Es gibt Filme, Veranstaltungen für Kinder, eine Schnitzwerkstatt, Themenführungen etwa zu "Tourismus und Weltkulturerbe", die Premiere des Dokumentarfilms "Geheimnisvolles Land der Dogon" von Lutz Gregor sowie eine Podiumsdiskussion zum Welterbe Dogon. Details: www.bundeskunsthalle.de
  • Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4; bis 22. Januar 2012. Di, Mi 11-21, Do-So 10-19 Uhr. Katalog 39 Euro.
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