Eingriff an der Uniklinik Bonn Kardiologen führen erfolgreich „Triple Valve Repair“ durch

Bonn · Mit dem „Triple Valve Repair“ haben Kardiologen des Universitätsklinikums Bonn bei einer 95-jährigen Patientin ein Stück Medizingeschichte geschrieben. 1200 Kollegen weltweit folgten ihnen live am Bildschirm.

  Nach dem Eingriff ist die 95-Jährige wohlauf.

Nach dem Eingriff ist die 95-Jährige wohlauf.

Foto: Felix Heyder / Herzzentrum Uniklinik Bonn

Der Vermerk des Assistenzarztes liest sich kurz und nüchtern: „Patientin wach und orientiert, rezitiert Ode an die Freude, kein Hinweis auf neurologisches Defizit“. Doch hat es mit dieser Notiz etwas Besonderes auf sich. Zum einen, weil auch auf der internistischen Intensivstation des Universitätsklinikums Bonn nicht unbedingt jeden Tag die Verse von Friedrich Schiller aus dem Jahr 1795 zu hören sind, die Ludwig van Beethoven später zu seiner weltberühmten 9. Sinfonie inspiriert haben. Und zum anderen, weil bei dieser Patientin – der heute 96-jährigen Emmi Brecher – erstmals in der Geschichte der Medizin drei von insgesamt vier Herzklappen in einem einzigen kathetergestützten Eingriff behandelt worden sind.

Die rund einstündige Intervention (so der Fachbegriff) des „Triple Valve Repair“ wurde während eines Fachkongresses nach Mailand (dort saß die Regie) übertragen. Zusammen mit weiteren zugeschalteten Spezialisten haben insgesamt 1200 Kardiologinnen und Kardiologen weltweit am Bildschirm verfolgt, wie ihre Kollegen Professor Georg Nickenig (Direktor der Medizinischen Klinik II – Innere Medizin: Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin) und Professor Sebastian Zimmer (Leiter der Sektion Interventionelle Kardiologie am Herzzentrum Bonn) dabei Schritt für Schritt vorgegangen sind.

So wurde erstens die verkalkte und verengte Aortenklappe der Patientin, die den Blutfluss aus der linken Herzkammer in die Körperschlagader nur noch unzureichend steuern konnte, durch eine neue ersetzt, zweitens die nicht mehr voll funktionstüchtige Mitralklappe zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer durch einen Clip wieder in Form gebracht und drittens die Trikuspidalklappe auf der rechten Seite, direkt gegenüber ebenso repariert.

Der Patientin, die vor diesem Zeitpunkt an schwerer Atemnot gelitten hatte, konnten dadurch zwei zusätzliche Eingriffe mit entsprechenden Narkosen und Krankenhausaufenthalten erspart werden. So war ihr Moment der Euphorie nach dem Aufwachen nur zu verständlich: „Zum ersten Mal wieder richtig Luft holen können und dabei zusehen, wie sich mein Brustkorb hebt und senkt“; für Emmi Brecher „ein unvergesslicher Moment“, an den sie sich stets auch mit einem gewissen Herzklopfen erinnern wird.

Das Foto, das nach dem Eingriff – Seite an Seite mit „ihren Kardiologen“ – aufgenommen wurde, zeigt die alte Dame wohlauf und vergnügt im dunkelblauen Hausanzug: jemand, der es gewohnt ist, mit Unterstützung ihres Enkels in ihrer eigenen Wohnung für sich selbst zu sorgen und das nun auch wieder tun kann. Kein Vergleich mehr mit der durch Atembeschwerden und Ödeme (Wassereinlagerungen) in der Lunge und in den Beinen sowie Gallensteinen und einer dadurch verursachten Harnwegsentzündung stark mitgenommenen 95-Jährigen bei ihrer Ankunft in der Klinik auf dem Campus Venusberg.

Das rund 30 Kilometer von ihrer hessischen Heimatstadt Dillenburg entfernt liegende Krankenhaus in Siegen hatte sie zur Behandlung der bereits massiven Herzprobleme an die Kardiologie im Herzzentrum des UKB überwiesen. „Zuvor hatte ich die wohl schlimmsten acht Tage meines Lebens durchstehen müssen“, wie sich Emmi Brecher mit einem Schauern erinnert.

  Eine biologische Aortenklappen-Prothese  im Metallgerüst, kurz vor der Implantation.

Eine biologische Aortenklappen-Prothese  im Metallgerüst, kurz vor der Implantation.

Foto: Felix Heyder / Herzzentrum Uniklinik Bonn

Umfangreiche diagnostische Untersuchungen auf dem Venusberg förderten das gesamte Ausmaß der Klappenschäden zutage. Vor allem Stenosen (Engstellen) und Insuffizienzen (Undichtigkeiten) gehören zu den möglichen Defekten der Herzklappen. Während eine durch Kalkablagerungen verengte Aortenklappe den ausreichenden Fluss von sauerstoffreichem Blut in den Körperkreislauf erschwert, führen undichte Herzklappen (häufig bei der Mitral- oder Trikuspidalklappe) zum ungewollten Rückfluss des Blutes. Das Herz von Emmi Brecher wies beide Arten von Klappenfehlern auf.

„Das Ausmaß solcher Herzschädigungen kann man nicht vollständig im Voraus kennen“, erklärt Nickenig. „Was wir wussten, war, dass Aortenklappe, Mitral- und Trikus­pidalklappe geschädigt sind. Und bei einer solch komplexen Intervention heißt es, ‚auf Sicht zu fahren’“, fährt Nickenig fort. „Jeder Eingriff für sich birgt schon ein gewisses Risiko.“ Probleme auf der linken Herzseite gab es bei Emmi Brecher schon seit Längerem. So war ihr 2012, vor neun Jahren (nicht in Bonn), in einer so genannten „Transcatheter Aortic Valve Implantation (TAVI)“ eine neue Aoartenklappe eingesetzt worden. Bei diesem Verfahren wird die neue Klappe mit einem Katheter eingeführt und die alte in die Gefäßwand gedrückt.

„Dadurch wurde es für uns aber auch sehr schwierig, denn wir hatten kaum Platz, um sie dort optimal zu positionieren“, beschreibt Nickenig den Eingriff. „Da die Herzkranzgefäße bei Frau Brecher ihrer Aortenklappe sehr naheliegen, mussten wir äußerst vorsichtig vorgehen, um während des Eingriffs die Versorgung des Herzens nicht zu gefährden.“ Das bedeutet: Wäre auch nur eines dieser für den Herzmuskel lebenswichtigen Gefäße kurzzeitig verschlossen worden, hätte das zu schweren Komplikationen führen können – mit dem Risko eines Infarktes. Doch das Manöver mit dem ballonexpandierenden
SAPIEN-3-System auf gerade einmal elf Millimetern gelang.

Mit dem Clippen der Mitralklappe stand auch schon direkt der nächste Schritt an. Wenn dieses Ventil, das frisches, in der Lunge mit Sauerstoff angereichertes Blut in die linke Kammer leitet, nicht mehr richtig schließt, kommt es zu einem Rückfluss in den linken Vorhof. Die Folge: Der Körper wird auf Dauer nicht mehr im erforderlichen Maß mit Sauerstoff versorgt werden können. In diesem Fall konnten die zwei Segel in Form einer Bischofsmütze (daher auch der Name) mit einem Mitra-Clip wieder „eingefangen“ und schlussdicht aneinandergeheftet werden. Probleme gab es allerdings auch auf der rechten Seite des Herzens. „Das ist jedoch nicht ungewöhnlich“, wie Nickenig erläutert: „Dass sowohl die Mitral- als auch die Trikuspidalklappe undicht sind, kommt bei einem derart geschädigten Herzen wie dem unserer Patientin sogar relativ häufig vor.“

Die aus drei Segeln – tri cuspis –
bestehende Klappe, die das aus Hohlvenen in den Vorhof strömende, sauerstoffarme Blut wie ein Ventil in die darunter liegende Herzkammer leitet, konnte diese Aufgabe ebenfalls nur noch unzureichend erfüllen. Das führte auch dazu, dass ein Teil dieses Blutes in der Auswurfphase des Herzens, der Systole, zurückfloss und sich im Vorhof und den Hohlvenen aufstaute.

Dass die Patientin zusätzlich an Bluthochdruck und einer Chronisch Obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) leidet, die die Atemwege dauerhaft und unumkehrbar verengt, fügt sich wie ein Mosaikstein in das Gesamtbild ein und hat die im Vergleich zur linken von Natur aus schwächere Herzseite belastet. Wenn das Herz dauerhaft gegen einen erhöhten Widerstand im Lungenkreislauf anarbeiten muss und sich dabei immer weiter ausdehnt, spricht man von einem „Cor pulmonale“ (Lungenherz). Durch diese Vergrößerung wird die Trikuspidal­klappe im Laufe der Zeit undicht.

Die drei Segel können sich in der Kontraktionsphase des Herzens (Systole) nicht mehr – wie bei einem gesunden Menschen – bündig aneinanderlegen, und der Ring, an dem sie befestigt sind, kann sich mit zunehmender Dauer erweitern. Ein weiteres Risiko des Cor Pulmonale ist eine Rückstauung des Blutes in der Halsvene, der Jugularis.

Mehr als genug Grund also, die Leistungsfähigkeit ihres Herzens so weit wie möglich zu erhalten und wiederherzustellen. „Zum Glück hat sich im Verlauf unserer Intervention gezeigt, dass die Schäden an den Segelklappen dann doch weniger stark ausgeprägt waren als zu befürchten gewesen wäre“, zieht Nickenig Bilanz. Auch die Trikuspidalklappe konnte erfolgreich repariert werden. Insgesamt hat der Eingriff gerade einmal 70 Minuten gedauert. Plus 20 Minuten Vorbereitung und Nachversorgung war Emmi Brecher damit gut zwei Stunden im Katheterlabor.

Die Suche in der internationalen kardiologischen Fachliteratur nach einer vergleichbaren Intervention und die Nachfragen bei Kollegen weltweit dauerten indes wesentlich länger und bestätigten schließlich, dass das Triple Valve Repair tatsächlich eine Premiere gewesen ist.

Währenddessen besserte sich der Allgemeinzustand der Seniorin, die nun ein Stück Medizingeschichte geschrieben hat, erstaunlich schnell. Der herzliche Händedruck auf dem Foto drückt es aus: „Die große Lebensfreude von Frau Brecher hat uns hier alle sehr beeindruckt“, fügt Nickenig abschließend hinzu.

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