Umwandlung zur Moschee Hagia Sophia spaltet die Türkei

Istanbul · Gemeinsam mit Hunderten Gläubigen vollzieht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in dem historischen Bauwerk über dem Bosporus das erste Freitagsgebet seit 86 Jahren. Es ist allerdings kein Tag der Einheit.

 Hunderttausende Muslime versammeln sich in und um die Hagia Sophia herum, um am Freitagsgebet teilzunehmen.

Hunderttausende Muslime versammeln sich in und um die Hagia Sophia herum, um am Freitagsgebet teilzunehmen.

Foto: AP/Yasin Akgul

Scharenweise pilgern die Menschen am Freitagmorgen von den Ufern des Bosporus und des Marmarameers durch die gesperrten Straßen der Altstadt hinauf zur Anhöhe der Halbinsel, auf der die Hagia Sophia thront. Familien, Ehepaare, Freundesgruppen von nah und fern: Seit dem frühen Morgen strömen sie aus den Fähren und Trambahnen und streben zu Fuß bergan, um dabei zu sein beim ersten Freitagsgebet in der einstigen und nunmehrigen Moschee seit 86 Jahren.

Die allermeisten müssen ihre Gebetsteppiche in den umliegenden Gassen ausrollen, teils Hunderte Meter weit weg von dem Bauwerk, weil der Platz vor der Hagia Sophia schon seit dem Morgen überfüllt ist – wer ganz nah dran sein wollte, campierte schon die ganze Nacht hier.

Die Sonne brennt auf die dicht gedrängten Menschen, während sie stundenlang auf dem Pflaster kauern und auf den Gebetsruf warten, doch die Atmosphäre ist friedlich und feierlich. Helfer verteilen Kekse, Wasser und Saft. Feiertagsstimmung in Istanbul.

Mehmet Fatih und seine Familie sind aus dem zentralanatolischen Konya gekommen, um dabei zu sein: Sieben Stunden lang haben sie im Auto gesessen mit drei Kleinkindern, haben die Nacht im Hotel verbracht und sitzen nun festlich gekleidet auf dem Kopfsteinpflaster einer Gasse unterhalb der Hagia Sophia. Das Gebet in der Ayasofya, wie die Hagia Sophia auf Türkisch heißt, sei für einen türkischen Muslim die Erfüllung eines Lebenstraums, sagt der 32-jährige Architekt.

Warum? Fatih weist auf seine Frau, eine elegant gekleidete Dame in Sonnenbrille und schwarz-lila Kopftuch, die auf dem Rinnstein sitzt. „Sehen Sie mal, meine Frau hat wegen ihres Kopftuchs nicht studieren dürfen“, sagt er. Zeit seines Lebens hätten er und seine Angehörigen im frommen KonyaUmwandlung der Hagia Sophia zur Moschee sich fremd fühlen müssen im eigenen Land: fremdbestimmt von Werten, die nicht ihre waren – wie der strikte Säkularismus, der die Hagia Sophia von der Moschee zum Museum machte und ihnen das Kopftuch verbieten wollte. Die Umwandlung der Hagia Sophia zur Moschee symbolisiere für ihn, dass die Türkei nun endlich bei sich angekommen sei, sagt Fatih: nach fast hundert Jahren Republik endlich Herr im eigenen Haus.

Gebetsteppiche bedecken inzwischen fast die ganze Straße. Auf einem schmalen, freigelassenen Streifen quetschen sich unablässig Ströme von Menschen vorbei, die es noch näher an die Hagia Sophia heran zu schaffen hoffen oder die aufgegeben und den Rückzug angetreten haben. Manche Männer im Gedränge tragen Turbane auf dem Kopf oder einen Fez – beides Kopfbedeckungen, die von Staatsgründer Atatürk zugunsten breitkrempiger Hüte verboten wurden, mit denen man nicht im Gebet die Stirn zum Boden führen kann. Viele jüngere Männer und Frauen haben sich ein Stirnband umgebunden, das bei den fliegenden Händlern in der Menge reißenden Absatz findet: „Die Ketten sind zerrissen, die Ayasofya ist geöffnet“, steht darauf.

Vormittags wächst die Menge auf

 Hunderttausende Menschen an

Die Menge schwillt immer weiter an, schon längst gibt es kein Durchkommen mehr. Im Gedränge müssen die Krankenschwester Ayten und ihre Freundin ihr Ziel aufgeben, vor der Hagia Sophia zu beten; nun kämpfen sie sich durch die Menge wieder bergab, um ein ruhiges Eckchen für ihr Gebet zu suchen. Ein Freudentag sei das für sie, sagt die 39-Jährige, die zum schwarzen Sommermantel ein geblümtes schwarzes Kopftuch trägt.

Ganz nah an das 1500 Jahre alte Gebäude, das jetzt „Großmoschee Hagia Sophia“ heißt, kommen nur wenige heran. Im Laufe des Vormittags wächst die Menge auf mehrere Hunderttausend Menschen an, und mehr als 20 000 Polizisten sperren alle Zugänge zur Umgebung der Hagia Sophia. Drohnenbilder des türkischen Fernsehens zeigen ein Meer von Menschen in den Straßen um die ehemalige Kirche, die im sechsten Jahrhundert gebaut, im Jahr 1453 vom osmanischen Sultan Mehmet II zur Moschee erklärt, im Jahr 1934 durch eine Entscheidung Atatürks zum Museum wurde und nun wieder zur Moschee wird. Der Ruf „Allahu akbar“ – Gott ist groß – brandet immer wieder auf. In der Hagia Sophia beginnen feierlich in weiß gekleidete Geistliche, Koransuren zu deklamieren. Großleinwände und Lautsprecher übertragen das Geschehen nach draußen.

Präsident Recep Tayyip Erdogan trifft etwa eine Stunde vor dem Gebet ein. Er hat sein halbes Kabinett, hohe Generäle und Politiker im Gefolge: Die religiöse Feier wird als Staatsakt zelebriert. Alle tragen Gesichtsmasken und knien vor der Gebetsnische auf dem neu verlegten, blaugrünen Teppich nieder. Hinter ihnen nehmen rund 500 Ehrengäste auf dem Teppich Platz. Im hinteren Teil der Hagia Sophia sind Teppiche für die Frauen ausgelegt.

In dem riesigen Raum unter der mehr als 50 Meter hohen und über 30 Meter breiten Kuppel wirkt die Gemeinde des ersten Freitagsgebets fast ein wenig verloren. Ein Baugerüst für Restaurierungsarbeiten ist mit einem rotbraunen Transparent verhängt. Weiße Stoffbahnen in der Apsis verhüllen das weltberühmte Mosaik der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind, weil der Islam keine Abbildungen des Menschen duldet. Die Behörden betonen, es sei „kein einziger Nagel eingeschlagen“ worden, und wollen damit die Befürchtung zerstreuen, das alte Mauerwerk könnte beim Aufhängen der Vorhänge beschädigt worden sein.

Orhan Pamuk: „Leider werden

 unsere Stimmen nicht gehört“

Inzwischen ist Zeit für das Freitagsgebet. Vor der Gebetsnische zieht sich Erdogan eine weiße Gebetskappe an und greift zum Mikrofon – doch nicht, um eine Rede zu halten: Der 66-jährige Präsident intoniert die Fatiha-Sure, das erste Kapitel des Korans. Von Erdogan ist bekannt, dass er in seiner Freizeit gerne Koransuren rezitiert.

Ein Tag der Einheit der Türkei ist dieser Freitag trotz der Anwesenheit des Präsidenten und trotz des Massenandrangs nicht. „Ich bin auch ein Bürger der Türkei“, sagt Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. Als Atatürk die Hagia Sophia zum Museum erklärt habe, sei das ein Zeichen gewesen, dass die Türkei säkular und Teil der europäischen Kultur sein wollte, sagt Pamuk in einem Interview mit der Deutschen Welle. Mit der Rückumwandlung in eine Moschee sage die Türkei: „Wir respektieren den Säkularismus von Kemal Atatürk nicht mehr.“ Diese Botschaft wollen Pamuk „und Millionen andere, die säkular eingestellt sind“ nicht mittragen. „Leider werden unsere Stimmen nicht gehört.“

So zeigte das Freitagsgebet auch, wie gespalten das Land ist. Nicht nur Prominente wie Pamuk fehlen bei der Feierlichkeit. Auch Abdullah Gül, Erdogans Vorgänger als Staatspräsident und früherer politischer Weggefährte, lehnt die Einladung ab. Die Vorsitzenden der Oppositionsparteien im Parlament und der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu sind ebenfalls nicht erschienen. Nach einer Umfrage sind mehr als die Hälfte der türkischen Wähler überzeugt, dass die Regierung die Hagia Sophia zur Moschee gemacht hat, um von der schlechten Wirtschaftslage abzulenken.

Die Menschen, die sich in den Gassen um die Hagia Sophia im Gebet zu Boden werfen, sind aber zufrieden mit dem Tag. Die „Auferstehung“ der türkischen Nation sei dies, sagt ein Student aus Bursa, der mit seinen Freunden über das Marmarameer gekommen ist, um den historischen Tag mitzuerleben: Zu lange seien türkische Muslime bevormundet worden, finden die Burschen. Doch eines sei ihnen dabei ganz wichtig, sagt einer von ihnen – er heißt Mustafa: „Bitte sagen Sie das der Jugend in Deutschland und Europa: Das richtet sich nicht gegen den Westen, die Christen oder Europa – wir kommen in Frieden.“

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