Die Angeklagten im Fall Anna sind schuldfähig

Bad Honnef · Sowohl Annas Pflegemutter als auch ihr Pflegevater waren zur Tatzeit schuldfähig. Zu diesem Ergebnis kommen die psychiatrischen Gutachter, die am Donnerstag im Hauptverfahren um den gewaltsamen Tod des neunjährigen Mädchens vor dem Bonner Schwurgericht ausgesagt haben.

 Auffällige Persönlichkeitszüge, aber nicht gestört: Der Gutachter attestiert der Angeklagten Schuldfähigkeit.

Auffällige Persönlichkeitszüge, aber nicht gestört: Der Gutachter attestiert der Angeklagten Schuldfähigkeit.

Foto: Barbara Frommann

Michael Schormann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat sich mit der Angeklagten befasst. Sein Fazit: Die Frau, der vorgeworfen wird, Anna so lange unter Wasser gedrückt zu haben, bis sie starb, hat zwar auffällige Persönlichkeitszüge, diese besitzen aber nicht den Schweregrad einer Persönlichkeitsstörung oder -abart.

Bis zu ihrem 18. Lebensjahr habe die Angeklagte ein äußerlich unauffälliges Leben geführt, so der Gutachter: die Hauptschule abgeschlossen, eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau gemacht. Subjektiv habe sie sich aber im Vergleich zu ihrer ältesten Schwester als benachteiligt empfunden, habe sich in eine Versorgerrolle hineingedrängt gefühlt. Dadurch habe sie verinnerlicht: Nur über Leistung erhalte sie Anerkennung und Zuneigung, Fehler dürfe sie nicht machen. "Solchen Menschen fällt es schwer, Überforderung zuzugeben", so Schormann.

Mit 18 dann die Zäsur: Die Angeklagte wird ungewollt schwanger, die Beziehung zu dem Kindsvater, einem italienischen Kellner, zerbricht. Elf Jahre dauert die Ehe mit einem indischen Hilfskoch. In ihr sei sie die Aktive gewesen, der Mann eher passiv - der Gutachter sieht da Parallelen zur heutigen Ehe mit dem Angeklagten.

Bei der Gestaltung ihrer Beziehungen attestiert der Psychiater der Angeklagten manipulative Elemente und die "Neigung zu wahrheitswidrigen Aussagen". Zielgerichtet habe sie etwa bei der Bewerbung als Pflegemutter falsche Angaben gemacht: die Wohnung als Eigentum, sich selbst als leitende OP-Schwester ausgegeben. Das seien bewusste Entscheidungen gewesen, von denen sie sich Vorteile erhoffte. Sprich: Sie hätte auch anders handeln können.

Für die weitere juristische Einordnung ebenfalls von Bedeutung: Bei der Rückschau auf den Tattag konnte der Gutachter "keine deutlichen Zeichen für eine besondere affektive Ausnahmesituation" erkennen. Bei dem Untertauchen des Kindes habe es sich um ein wiederholtes Tatmuster gehandelt, an das sich die Frau bereits gewöhnt habe. Und beispielsweise die Notärztin habe ausgesagt, die Angeklagte habe nicht emotional aufgewühlt gewirkt.

In den Grenzbereich einer abhängigen Persönlichkeitsstörung kommt der angeklagte Pflegevater, der nicht eingegriffen haben soll, als Anna ertränkt wurde. Das ist das Fazit von Gutachter Wolfgang Schwachula, wie sein Kollege Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Patienten mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung seien eher stille Menschen, die sich anderen unterordnen und auf deren Erlaubnis und Bestätigung angewiesen sind.

Der Angeklagte habe wenig Eigenständigkeit, neige zu Aggressionshemmung. Das heißt: Er vermag kaum, in Konflikten eine eigene Position zu vertreten. Als es in der Ehe Probleme gab, habe er durch Anpassung versucht, seine Position zu wahren, kritische Distanz habe er nicht halten können, auch keine Grenzen setzen. Schwachula: "Als das Kind in der Badewanne war, zog er sich aus der Situation heraus, ist gegangen."

Auch auf das Verhältnis zwischen den Angeklagten und Anna warfen die Gutachter ein Schlaglicht. Die Pflegemutter habe mit Anna, die selbst ein aktiver Mensch war, eher Schwierigkeiten gehabt als mit passiven Menschen, so Schormann.

Diese ungewünschte Eigenständigkeit hat sich, so Schwachula, in einem geradezu symbolischen Akt einen Tag vor Annas Tod manifestiert: Ihr Sprung vom Balkon habe bedeutet: "Ich verlasse die Verstecktheit des Systems." Er könnte die tödliche Eskalation einen Tag später, oder wie es Gutachter Schwachula sagt, "das spätere Ereignis mit gebahnt haben".

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