Rettungsboot in der Nacht Fotografen-Kollektiv gewinnt mit Flutbild den Rückblende-Preis

Kreis Ahrweiler · Was die fünf jungen Fotografen rund um das „Docks Collective“ in den Wochen nach der Flut an der Ahr erlebt haben und wie ihr Gewinnerbild entstanden ist, erzählen Maximilian Mann und Aliona Kardash.

 Das Siegerbild vom Preis „die Rückblende“: Ein Rettungsboot in Dernau einen Tag nach der Flut.

Das Siegerbild vom Preis „die Rückblende“: Ein Rettungsboot in Dernau einen Tag nach der Flut.

Foto: Docks Collective/DOCKS Collective

Sie arbeiten als Kollektiv – und nicht nur das macht das Quintett mit Maximilian Mann und Aliona Kardash besonders. Unter dem Namen „Docks Collective“ fotografieren die fünf weltweit für etablierte Magazine und Zeitungen wie die Washington Post, Die Zeit, Spiegel und Stern. Ganz aktuell haben sie mit einem Bild von der Flut, das ein Rettungsboot in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli bei der Suche nach Überlebenden zeigt, den renommierten „Rückblende Preis für politische Fotografie und Karikatur“ gewonnen.

Zur Zeit der Katastrophe, im Juli vergangenen Jahres, waren alle fünf Mitglieder von Docks Collective zufällig gleichzeitig in Deutschland. Sonst führt ihre Arbeit die studierten Fotografen auch in entlegene Gebiete der Welt wie Iran oder Sibirien. „Uns war schnell klar, dass da etwas Großes passiert“, sagt Mann. Alle machten sich also umgehend in Richtung Ahrtal auf und auch eine Unterkunft in der Eifel bei Bekannten war schnell gefunden. Ebenso der Konsens, dass sie bei diesem sehr speziellen Projekt einmal ganz konsequent als Kollektiv arbeiten wollten. Keines der Bilder aus der Serie über die Flut im Ahrtal trägt einen individuellen Fotocredit, nicht einmal das prämierte Bild. Einig waren sie sich auch darüber, dass sie eine gemeinsame Bildsprache für das Projekt festlegen müssen. Mann erinnert sich: „Normalerweise fotografieren wir schon sehr unterschiedlich, aber für das Flutprojekt haben wir uns auf einen einheitlichen Stil geeinigt.“ Und Aliona Kardash ergänzt: „Wir wollten eine ruhige Bildsprache und Abstand von der schnellen, gewöhnlichen Berichterstattung.“

 Das Fotografen-Kollektiv „Docks“ mit Maximilian Mann (ganz links) und Aliona Kardash (ganz rechts).

Das Fotografen-Kollektiv „Docks“ mit Maximilian Mann (ganz links) und Aliona Kardash (ganz rechts).

Foto: DOCKS Collective

In Zweier-Teams das ganze Ahrtal besucht und fotografiert

Zu diesem Punkt passt auch, dass sie in der ersten Phase der Flut gleich für 14 Tage vor Ort geblieben sind. In Zweier-Teams haben sie versucht, das ganze Ahrtal abzudecken. Damals noch ohne konkreten Auftraggeber. Das Zeit-Magazin hat schließlich aber etliche Bilder für eine Sonderausgabe gekauft. Darin zu sehen: erschöpfte Helfer, ein Paar auf dem Balkon seines kaputten Wohnhauses, das noch von den Wassermassen umspült wird, ein Müllberg von oben oder eine matschbraune Badewanne neben der ein Haufen ebenso verdreckter Kleidungsstücke liegt. Die Bilder spiegeln also völlig verschiedene Phasen der Katastrophe wieder. Mann sagt dazu: „Es ist uns total wichtig, dass wir nicht nur ein paar Tage vor Ort waren. Gerade wenn andere Pressevertreter nicht mehr dort sind, wollen wir weitermachen.“ Und so kommt es, dass er an diesem Wochenende wieder ins Ahrtal fährt. „Wenn uns jemand eine interessante Geschichte erzählen will, kann er sich gerne bei uns melden.“

Kardash verpasst diesen erneuten Besuch, denn sie recherchiert gerade für ein neues Projekt in ihrer Heimatstadt Tomsk in Sibirien. Wie das Siegerfoto entstanden ist, das kann sie aber genau erzählen, denn sie war dabei: „Es war die erste Nacht nach der Flut und wir waren eigentlich schon super müde. Wir sind durch die Weinberge gefahren, es muss gegen 22 Uhr gewesen sein, und da haben wir aus den Augenwinkeln die hellen Lichter gesehen.“ Dass das Boot, das gerade durch Dernau gefahren ist, dabei nach weiteren Überlebenden gesucht hat, mutmaßte sie. „Kurz davor hatten wir uns mit einem Mann unterhalten, der nicht lange davor erst vom Dach gerettet worden ist. Mit seinem Handylicht hatte er SOS-Signale abgesetzt.“

Klimawandel wird auch in anderen Fotoprojekten des Kollektivs thematisiert

Die gebürtige Russin kann sogar eine positive Erfahrung für sich aus den Erlebnissen an der Ahr ziehen: „Ich lebe erst seit drei Jahren in Deutschland, aber irgendwie bin ich den Menschen, den Deutschen, durch dieses Projekt etwas nähergekommen.“ Und so berichtet sie davon, wie es sie beeindruckt hat, dass Helfer und Bewohner in den Versorgungszelten zusammengekommen sind, die sich sonst eher nicht getroffen hätten. Für Mann, der sich in seinen Arbeiten auf vielfältige Weise mit dem Klimawandel beschäftigt, zahlt die Ahrkatastrophe noch auf einen weiteren Aspekt ein: „Jetzt sehen alle Leute, dass der Klimawandel auch in Deutschland angekommen ist.“

Ihre Arbeit ist nun auf der ganzen Welt zu sehen. So wurde es auch vom Time Magazine zu einem der Top 100 Bilder aus dem Jahr 2021 gewählt. Dass ihr Bild, denn die Autorenschaft geben sie bis zum Ende des Gesprächs nicht Preis, nun so sichtbar ist, macht sie stolz. Vor allem aber freuen sich Mann und Kardash stellvertretend für das Kollektiv, dass sie mit ihrer Arbeit „einen kleinen Unterschied machen können“. Und die fotografische Arbeit an der Ahr ist für die fünf auch noch nicht abgeschlossen – ein Buchprojekt ist gerade in der ersten Planungsphase.

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