Eindrucksvolle Botschaft in vier Minuten Bonner Gehirn-Expertin holt Weltrekord

Bonn · Aufgrund eines Schicksalsschlags beginnt Yvonne Diewald kognitive Neurowissenschaften zu studieren. Beim internationalen Speaker-Slam erzählt sie von ihrer persönlichen Geschichte und stellt damit einen neuen Weltrekord auf.

 Die Bonner Gehirn-Expertin Yvonne Diewald hat einen Weltrekord geknackt.

Die Bonner Gehirn-Expertin Yvonne Diewald hat einen Weltrekord geknackt.

Foto: Sofia Grillo

In vier Minuten erzählte die Bonnerin Yvonne Diewald auf dem Internationalen Speaker-Slam eine Geschichte, für die sie sich im Gespräch mit dem General Anzeiger eine Stunde nahm. Unter 88 Teilnehmern des Wettbewerbs beeindruckte sie die Jury am meisten und stellte einen neuen Weltrekord auf. Nicht zuletzt wegen ihrer Botschaft, die sie ebenfalls in den vier Minuten vermitteln konnte: Wenn ein defektes Gehirn etwas zu leisten vermag, was Ärzte und Experten für unmöglich hielten, zu welchen Leistungen ist dann ein intaktes Gehirn in der Lage?

Persönliche Geschichte in Rede thematisiert

Auf dem Speaker Slam wurde den Teilnehmern die Aufgabe gestellt, die Zuschauer mit einer selbst geschriebenen Rede in exakt vier Minuten in den Bann zu ziehen und damit den Weltrekord in dieser Kategorie zu brechen. Die Bonnerin vereinnahmte das Publikum mit einer sehr persönlichen Geschichte: Ihr Sohn Dominic kam drei Monate zu früh auf die Welt. Seine Organe waren noch nicht komplett ausgebildet, und er musste künstlich beatmet werden. In der Folge erlitt er eine Gehirnblutung. Nach drei Monaten Krankenhausaufenthalt konnten Diewald und ihr Mann ihr Kind mit nach Hause nehmen. Als sich Dominic aber nach einem Jahr noch immer nicht motorisch entwickelt hatte, gingen die Eltern mit ihm zu einer Spezialklinik, die eine niederschmetternde Diagnose stellte: Bei der Gehirnblutung wurde das komplette Motorikareal im Gehirn zerstört. Die Ärzte erklärten, dass der Junge sein Leben lang schwer pflegebedürftig sein werde, weil er ohne Motorikareal niemals Gehen, Schreiben oder Sprechen könne.

Yvonne Diewald konnte den Rat der Ärzte, sich damit abzufinden, nicht annehmen. Sie unternahm alles Erdenkliche, um ihrem Sohn etwas beizubringen. „Ich ging zu allen möglichen Ärzten und Therapeuten, sogar zu Wunderheilern, schaute mir alles ab, was die Experten machten und wiederholte es zu Hause kontinuierlich. Ich las mir alles an, was man über das Gehirn erfahren konnte und holte alle neu erschienen Studien heran“, erinnert sich die heute 54-Jährige. Ihr Bemühen zeigte Erfolg: Ihr Sohn lernte entgegen aller ärztlichen Meinungen, sich zu bewegen, zu gehen, zu schreiben, zu sprechen. Heute ist er 26 Jahre alt, hat Schauspiel studiert und möchte nun Psychologie studieren. Doch wie war das möglich? „Ich bin in meinen privaten Studien auf die sogenannte Neuroplastizität gestoßen: Die besagt, dass das Gehirn nicht nur dazu in der Lage ist, Aufgaben defekter Zellen an andere Zellen zu übertragen, sondern auch bis zu unserem Tod immer wieder neue Zellen auszubilden. Doch das geht nur durch ständige Impulse und dies habe ich aus Mutterliebe intuitiv meinem Sohn gegeben“, erklärt Diewald.

„Ohne Umsetzung taugt die beste Strategie nichts“

Ihre persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse schlugen sich auch in ihrer beruflichen Tätigkeit als strategische Beraterin der Vorstände und Geschäftsführer eines in Bonn ansässigen DAX-Konzerns nieder. Als sie feststellte, „dass die beste Strategie nichts taugt, wenn das Individuum sie nicht umsetzen kann“, begann Diewald, sich mehr dem Individuum zu widmen. Sie lernte viele Coaching- und Therapie-Formate und entwickelte ein Leadership-Programm, mit dem sich über 1300 Führungskräfte fortbildeten. Diewald macht sich 2011 selbstständig. „Ich hatte bald sehr viele Werkzeuge und viele Erfahrungen mit meinen Klienten, aber merkte, dass viele Individuen trotz bester Werkzeuge scheiterten“, erinnert sich Diewald, die seit 2005 in Bonn lebt und sich seither auf der Beueler Rheinseite wohlfühlt. 2017 machte sie noch ihren Masterabschluss in kognitiven Neurowissenschaften. Eine Aussage ihres Professors werde sie nie vergessen, sagt sie: „Mit den Erkenntnissen der Hirnforschung wissen wir, dass wir seit Jahrzehnten in den Therapien falsch behandeln.“ Diewald verstand nun, warum herkömmliche Coachings und Therapien nicht wirksam und zum Teil sogar kontraproduktiv sind.

Impulse abseits der alten Bahnen

Diewald erklärt: „Das Gehirn reagiert ständig auf innere und äußere Impulse und baut dazu neuronale Strukturen auf. Je mehr Impulse, desto stärker die Struktur. Diese bewirken, dass gewisse Verhaltens-, Denk- oder Gefühlsmuster ins Langzeitgedächtnis übergehen und automatisiert ablaufen. Wenn also bei einer Angststörung in einer Therapie immer wieder darüber gesprochen wird, werden auch immer wieder Impulse zugunsten der Angststörung gesendet und sie verfestigt sich dadurch, anstatt schwächer zu werden.“ Hilfreicher ist es, so Diewald, keine Impulse mehr über die alten Bahnen laufen zu lassen, sie dadurch abzubauen und stattdessen förderlichere Impulse zu senden. Diewald ist Neuro-Coach und Transformationsexpertin und vermittelt ihr Wissen an Unternehmen und Einzelpersonen. „Bisher ist das aber eine kleine, privilegierte Gruppe von Aufsichtsräten, Vorständen, Politikern oder medialen Persönlichkeiten. Ich finde aber, das Wissen muss in die breite Öffentlichkeit kommen und deswegen habe ich unter anderem auch am Speaker-Slam teilgenommen“, sagt sie. Sie hofft, dazu beitragen zu können, dass die neusten Erkenntnisse der Neurowissenschaften nicht mehr ganze 15 Jahre brauchen, um breite Anwendung in Therapien zu erhalten.

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