Polizei durchsucht Redaktion Im Jahr 1962 erschütterte die Spiegel-Affäre Bonn

Bonn · Im Oktober 1962 durchsuchen Polizisten in Bonn und in Hamburg die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins Spiegel. Konsequenzen hat die Affäre vor allem für einen Bundesminister.

 Franz-Josef Strauß (links) muss nach der Spiegel-Affäre im Herbst 1962 seinen Rücktritt erklären.

Franz-Josef Strauß (links) muss nach der Spiegel-Affäre im Herbst 1962 seinen Rücktritt erklären.

Foto: GA-Archiv

Während der Kuba-Krise im Oktober 1962 blickt die Welt in den nuklearen Abgrund eines Dritten Weltkrieges. Genau in dieser Zeit eskaliert in der Bundesrepublik die „Spiegel-Affäre“. Wie in der Hamburger Zentrale durchsuchen am letzten Freitagabend im Oktober kurz nach 21 Uhr Polizisten auch die Bonner Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins.

In einer Titelgeschichte unter der Schlagzeile „Bedingt abwehrbereit“ haben Wochen zuvor der Spiegel-Redakteur Conrad Ahlers und sein Bonner Kollege Hans Schmelz über Ergebnisse eines Nato-Manövers berichtet, das einen Erschlag des Bündnisses gegen den Warschauer Pakt simulieren sollte. Sie äußern Zweifel, ob eine wirksame Abschreckung bei der aktuellen Ausstattung – vor allem der Bundeswehr – möglich sei. Insbesondere für Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß, der das Konzept propagiert, ist der Text wenig schmeichelhaft. Schmerzhaft für ihn: Die Autoren sind keine Grünschnäbel, sondern Militärexperten. Der in Bonn arbeitende Schmelz hat im Zweiten Weltkrieg als Fallschirmjäger gedient und hohe Ehrungen erlangt. Später hat der 45-Jährige für die Organisation Gehlen gearbeitet, den Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes.

In der aufgeheizten Stimmung der akuten atomaren Bedrohung sind weder CDU noch SPD auf kritischen Journalismus bedacht. „Die Presse genießt den Schutz der freiheitlichen Ordnung der Bundesrepublik, sie muss jedoch die allgemeinen Grundsätze der Geheimhaltung der Landesverteidigung beachten“, erklärt im General-Anzeiger damals der CDU-Bundesvizevorsitzende Josef-Herman Dufhues. SPD-Vize Herbert Wehner fordert, gegen die Informanten „ebenso schnell und scharf“ vorzugehen wie gegen die Journalisten. Ein CDU-Abgeordneter versteigt sich gar zu der Aussage, es gehe bei dieser Affäre nicht um die Pressefreiheit, sondern um die Sicherheit des Landes. Tatsächlich lauten die Haftbefehle gegen Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und weitere Mitarbeiter wie Jacobi und Schmelz: Verdacht auf Landesverrat. Schmelz wird nur deshalb am Durchsuchungstag in Bonn nicht verhaftet, weil er sich auf Dienstreise in Ungarn befindet. Nach der Rückkehr landet Schmelz 81 Tage in Untersuchungshaft.

Strauß ist zum Rücktritt gezwungen

Am Ende kommt es vor dem Bundesgerichtshof aus Mangel an Beweisen nie zu einem Hauptverfahren. Strauß, der jegliche Beteiligung zunächst kategorisch abgestritten hat, ist hingegen im Ministeramt nicht mehr zu halten. Die Bonner Staatsanwaltschaft wird feststellen, dass er sich „objektiv“ der Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat, weil er Ahlers‘ Verhaftung durch Mitarbeiter des Franco-Regimes im Urlaub in Spanien angeordnet hat.

Die fünf FDP-Minister im Kabinett Adenauer erklären aus Protest gegen Strauß, der den FDP-Innenminister übergangen hat, ihren Rücktritt. Daraufhin tritt er ab. Auch zwei Staatssekretäre müssen gehen. Wie sehr sich der Wind in den kommenden Jahren dreht, zeigt der Fall Schmelz. 1969 quittiert der Regierungskritiker seinen Job beim „Spiegel“ und wechselt unter Helmut Schmidt ins Bundesverteidigungsministerium.

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