Haltung als Lebenskorsett

Anke Zillich überzeugt als Königin bourgeoisen Lebensstils in Samuel Becketts "Glückliche Tage" - Stefan Heiseke inszeniert in den Kammerspielen Bad Godesberg das Stück als Ehedrama und Abgesang der Bürgerlichkeit

  Sein ist Wahrgenommen-Werden:  Anke Zillich als Winnie.

Sein ist Wahrgenommen-Werden: Anke Zillich als Winnie.

Foto: Beu

Bonn. "Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nicht Neues", heißt es in Samuel Becketts Roman "Murphy". Nirgendwo strahlt das Licht der Aufklärung so unerbittlich, so entlarvend hell wie bei dem irischen Dramatiker, der am 13. April einhundert Jahre alt geworden wäre.

Auch in seinem Zweipersonenstück "Glückliche Tage" heißt es: "Grelles Licht". Doch in den Kammerspielen ist es grottendüster. Nur wenige Spots beleuchten die Bühne und lenken so die Aufmerksamkeit auf die Hauptperson: Winnie in Gestalt von Anke Zillich, die mit geradezu triumphaler Selbstgewissheit bis zur Brust in einem Erdloch steckt.

So absurd die Situation, Winnies Rettungsanker, so zeigt es Regisseur Stefan Heiseke, ist ihre Bürgerlichkeit.

Wie Anke Zillich den Kopf leicht erhoben, den linken Arm locker auflegt, den rechten auf den Ellbogen stützt, die Hand hat hinten klappt, später ihre Brille salopp ins Haar schiebt - das macht sie zur Königin bourgeoisen Lebensstils: "Was auch immer kommen mag, bleib adrett."

Haltung als Lebenskorsett. Und wenn ihr dann doch angesichts der völligen Leere der Zeit die Gesichtszüge zusammensacken und die Angst heranzukriechen scheint, dann ruft sie sich jäh mit Ritualen zur Ordnung.

Sie putzt ihre Zähne, holt eine Bürste und einen Revolver aus einem schwarzen Sack, hält ihren Regenschirm hoch und plappert endlos vor sich hin. Sinnlose Verrichtungen, die die endlose Gegenwart zu "Glücklichen Tagen" strukturieren sollen.

Wie alle Stücke Becketts ist auch das 1961 uraufgeführte "Glückliche Tage" ein Endzeitstück, dessen Endzeit tragikomischerweise nie endet. Gesine Kuhn hat dafür einen Ort soghafter Vergeblichkeit entworfen.

Der Zuschauerraum der Kammerspiele ist mit einem Raumteiler auf 220 Plätze verkleinert und die Bühne als eine Art Trichter mit einem schwach erleuchteten Fenster als Fluchtpunkt gestaltet.

Es entsteht der Eindruck eines Zoogeheges der Bürgerlichkeit, in dem letzte Exemplare der Gattung besichtigt werden können, ja besichtigt werden wollen.

"Sein ist Wahrgenommen-Werden" zitierte Beckett gerne den Empiristen George Berkeley aus dem 18. Jahrhundert.

Anke Zillich als Winnie versichert sich deshalb nicht nur immer wieder der Aufmerksamkeit von Willie ("Nur zu wissen, dass du in Hörweite und womöglich auf dem Quivive bist ist alles was ich verlange"); mit majestätischer Selbstsicherheit blickt sie ins Publikum und holt sich die Ration Beobachtung, die sie auch als Theaterfigur am Leben erhält.

Winnie und Willie sind zugleich ein perfektes Ehepaar: Sie können nicht mit-, aber auch nicht ohne einander. Mit überlegender Schärfe kommandiert Anke Zillich ihren Partner Wolfgang Jaroschka herum, ist sarkastisch, schneidend, nur um dann wieder mit wärmender Sentimentalität zu fragen: "Fandest du mich liebenswert?"

Willie kommt überhaupt erst im zweiten Akt, als Winnie bis zum Hals eingegraben ist, hinter dem Hügel hervor. Er kriecht wie ein Tier heran, schaut kurz ins Publikum und versucht dann vergeblich, seine plappernde Nervensäge zu erreichen.

"Glückliche Tage" ist Stefan Heisekes zweite große Inszenierung nach Ionescos "Kahler Sängerin", und man muss ohne Frage die intensive Arbeit mit Anke Zillich bewundern. Doch das Problem des zweieinhalbstündigen Abends liegt im Rhythmus.

Vor allem im ersten Teil wird viel zu breit gespielt, die Tempi variieren nicht. Das wiederum schlägt nivellierend auf die Interpretationsebenen zurück: die inhaltliche Kontur bleicht angesichts des eintönigen Rhythmus zunehmend aus.

So bleibt es am Ende vor allem der Abend von Anke Zillich, die diese Aufführung mit nie nachlassender Konzentration und beeindruckender Intensität trägt.

Die nächsten Aufführungen: 12. und 17. März; Karten unter anderem in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers oder auch online im GA-TicketShop.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCamp Neue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Aus dem Ressort