Doppelkonzert beim Jazzfest John Scofield und das Bundesjazzorchester in der Bonner Oper

BONN · Country für alte Männer: John Scofield überzeugt mit Band und das Bundesjazzorchester mit äußerst ungewöhnlichem Programm in der Bonner Oper.

Es gibt nicht sehr viel, was die Protagonisten des Doppelkonzerts vom Bonner Jazzfest im Opernhaus verbindet. Außer vielleicht, dass sie an diesem Abend jeder in seiner Art unvergleichlich gewesen sind. Zunächst nämlich betrat Gitarrenlegende John Scofield mit seinem Quartett die Bühne, und anschließend gab es ein paar Kurzfilme aus der Stummfilmzeit mit Livemusik, gespielt vom Bundesjazzorchester (BuJazzO).

Dass Scofield den Weg nach Bonn gefunden hat, ist ein echter Glücksfall. Der Musiker bildet zusammen mit Bill Frisell und Pat Metheny so etwas wie die Dreifaltigkeit der Jazzgitarre. Tatsächlich erlebte man ihn in Bonn am Montagabend in allerbester Spiellaune. Das Programm basierte auf einem 2016 erschienenen Album Scofields, dessen Titel „Country for Old Men“ eine selbstironisch-witzige Anspielung des heute 66-jährigen Musikers auf den Coen-Brüder-Film „No Country for Old Men“ ist. Es ist seine Auseinandersetzung mit dem traditionellen und ganz sicher weißesten Musikstil Amerikas.

Dazu greift er natürlich nicht zur Steel-Guitar, sondern verleibt sich die Musik ein. Das aber geschieht äußerst respektvoll und musikalisch sehr kreativ. Als Scofield nach den ersten beiden Nummern erstmals ans Mikrofon tritt, verrät er, dass man zunächst George Jones „Mr. Fool“ gespielt habe. Und fährt fort: „Ihr könnt es glauben oder nicht, aber das zweite Stück war von Kenny Rogers – 'The Gambler'“. Sein persönlicher Countrystil kommt ohne Gesang aus. Scofield dehnt die schlichten Songs zu musikalischen Reisen, die den Vorlagen ganz neue Welten öffnen.

Zum Beispiel in Dolly Partons großartigem und unzählige Male gecoverten Klassiker „Jolene“. Da trägt Scofield die bekannte Melodie rhythmisch recht frei phrasierend in seinem typischen, wunderbar melodischen Legatostil vor, während seine drei Band-Kollegen ihm erst noch vorsichtig tastend assistieren.

Scofield besitzt einen unglaublichen Charme

Dann erst geben Schlagzeuger Bill Stewart und Vincent Archer am Bass dem Song rhythmische Struktur, wenig später greift Gerald Clayton am Flügel ein und weitet den Raum rhythmisch und harmonisch weiter aus, dringt in Regionen vor, die Scofield sich wieder zu eigen macht und die Musik weiter fortspinnt und am Ende in der Reprise wieder zur Melodie zurückfindet. Das machen sie auch großartig in anderen Nummern wie „Can't Dance“ oder „Uncle Southern“, wobei Clayton immer auch gerne mal ein Solo auf der Hammond-Orgel spielt.

Dabei besitzt Scofield einen unglaublichen Charme, sowohl an der Gitarre, die er mit geschmeidiger Eleganz spielt, als auch am Mikrofon. Als er zur Zugabe noch einmal auf die Bühne zurückkommt, weist er schon mal auf die jungen BuJazzO-Musiker hin. „Wenn die jungen Leute kommen, werdet ihr uns vergessen“, sagt er in gespielt weinerlichem Tonfall. „Wir werden langsam verblassen.“

Mit dem BuJazzO betrat sozusagen die Elite des deutschen Jazznachwuchs die Bühne. Mit einem äußerst ungewöhnlichen Programm, mit dem man 100 Jahre Bauhaus feiern möchte. Dazu wählte man in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen George Eastman Museum ein paar Stummfilme der 20er und 30er Jahre aus, für deren Vertonung aktuelle Jazzkomponisten beauftragt wurden. Darunter Julia Hülsmann mit einer sehr idiomatischen Vertonung von László Moholy-Nagys „Großstadtzigeuner“ und Christopher Dell mit einer avantgardistischen Sichtweise auf „Lichtspiel“ vom selben Regisseur. Vor ein paar Tagen hatten sie als Duo einen Auftritt beim Jazzfest.

Unter der Leitung des auch sehr sympathisch moderierenden Niels Klein spielten die zwischen 17 und 24 Jahre alten Musiker mit Herzblut und unglaublicher Virtuosität und Präzision. Sei es in schönstem Big-Band-Idiom eines Bill Dobbins, der Moholy-Nagys „Marseille Vieux Port“ vertonte, oder Niels Kleins eigener musikalischer Sicht auf einen vom selben Regisseur gefilmten Hummerfang auf hoher See, bei dem der ebenfalls mitwirkende BuJazzO-Chor virtuos die Zwischentitel vortrug. Auch hier: Großer Applaus im vollen Saal.

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