Kurt Masur mit geschichtsträchtiger "Leningrader Sinfonie" in Köln

London Philharmonic Orchestra gelingt großartiger Balance-Akt in der Philharmonie

Kurt Masur mit geschichtsträchtiger "Leningrader Sinfonie" in Köln
Foto: dpa

Bonn. Es gibt im ersten Satz der Leningrader Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch eine ausgedehnte Episode, die wie eine Parodie auf Maurice Ravels "Bolero" wirkt. Die kleine Trommel gibt den Herzschlag einer gigantischen Steigerung vor, die in einem krachenden Orchestertutti mündet.

Eine Parodie ist es deshalb, weil die Musik bei Schostakowitsch durchaus fratzenhafte Züge trägt. Das simple Marschthema hat nichts von Ravels Eleganz, es bohrt sich vielmehr brutal und unerbittlich in die Gehörgänge des Zuhörers.

Kurt Masur, der das Werk jetzt im Rahmen der "Meisterkonzerte" in der Kölner Philharmonie dirigierte, möchte in dieser Musik dennoch nichts Plakatives erkennen.

"Ich habe dem Orchester gesagt, selbst das dreifache Fortissimo muss immer noch nobel klingen", verriet der Dirigent jetzt in einem Interview der Berliner Morgenpost. Adressat seiner Forderung war das jetzt auch in Köln zu hörende London Philharmonic Orchestra, dessen Chef der heute 82-jährige Masur von 2000 bis 2007 gewesen ist.

Und die Musiker unterstützten Masur darin, die Episode nicht vordergründig als eine Art Filmmusik zur Invasion deutscher Panzer zu verstehen, ohne die fesselnde, narkotisierende Wirkung dieser Musik aufzugeben. Ein schwieriger Balance-Akt, der auf großartige Weise gelang.

Masurs Lesart der "Leningrader" distanziert sich überhaupt von der zu Sowjetzeiten offiziell und auch von Schostakowitsch selbst überlieferten, nach der das Werk im Sinne des "sozialistischen Realismus" das heldenhafte russische Volk beschreibt, das dem deutschen Faschismus trotzt.

Für Masur liegen die Dinge etwas anders: Schostakowitschs Musik sei anzumerken, dass er in der Sowjetunion nicht verankert war, er sei vielmehr Weltbürger gewesen, der wie Beethoven Musik für alle komponiert habe, meint er.

Allein die Tatsache, dass die "Leningrader" fast sieben Jahrzehnte nach ihrer Entstehung und mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Sowjetsystems in Ost wie in West noch immer zu den populärsten Werken des Komponisten zählt, scheint Masur recht zu geben.

Unbelastet von dem "offiziellen" Programm lassen sich in dieser Sinfonie viele bewegende Momente entdecken, dies sich gerade in den musikalisch sehr viel reicheren und subtiler gearbeiteten Mittelsätzen finden. Wie etwa im langsamen dritten Satz das innig vorgetragene Flötensolo oder die sarabandeartige Trauermusik des vierten Satzes.

Das Londoner Orchester spielte das alles hoch konzentriert, mit satten Streicherklängen, sensibel gestalteten Soli und einem kraftvollen, aber nie lärmenden Tuttiklang. Das Publikum bedankte sich mit viel Beifall.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Derwisch am Piano: Iiro Rantala beim
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim JazzfestEin Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Aus dem Ressort