Maifestspiele in Wiesbaden Eklat um Anna Netrebko
Bonn · Die russische Starsopranistin soll bei den Maifestspielen in Wiesbaden auftreten. Die stehen unter dem Motto „Politische Gefangene“. Das ruft dei Politik auf den Plan.
In den vergangenen Monaten hat die wegen ihrer einstigen Putin-Nähe in Teilen der Öffentlichkeit in Ungnade gefallene russische Starsopranistin Anna Netrebko ein regelrechtes Comeback erlebt. Sie gibt Konzerte, Opernhäuser laden sie wieder ein. Erst am vergangenen Samstag trat sie wieder gemeinsam mit Yusif Eyvazov als „Traumpaar der Klassik“ in Frankfurts Alter Oper in Erscheinung. „Beifall wie eine Explosion begrüßte das singende Ehepaar“, notierte die „Frankfurter Rundschau“ anschließend.
Nur ein paar Kilometer entfernt jedoch sorgt in Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden ein geplanter Auftritt der Diva für einen handfesten politischen Eklat. Uwe Eric Laufenberg, scheidender Intendant des Hessischen Staatstheaters, hat sie für die kommenden Maifestspiele engagiert, wo die Sopranistin in Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“ auftreten soll. Dass die Oper mit dem berühmten Gefangenchor auf dem Spielplan steht, ist kein Zufall: Die Maifestspiele behandeln in diesem Jahr das Thema „politische Gefangene“.
Laufenberg sieht sich als Kämpfer für die Freiheit der Kunst
Dass nun ausgerechnet Anna Netrebko, die 2012 öffentlich dazu aufrief, Putin zu wählen, und sich 2014 in St. Petersburg zusammen mit dem pro-russischen Separatistenführer Oleh Zarjow mit der sogenannten „Neurussland-Fahne“ fotografieren ließ, zum prominentesten Gesicht des Mottos der Maifestspiele werden würde, rief die Politik auf den Plan. In einer gemeinsamen Presseerklärung sprachen sich das Land Hessen und die Landeshauptstadt Wiesbaden am Montag vergangener Woche gegen den Auftritt Netrebkos bei den Maifestspielen aus. Man verwies darauf, dass die Maifestspiele denjenigen gewidmet seien, „die aufgrund ihrer Meinung im Gefängnis sitzen“. Darunter namentlich Aktivisten wie Alexei Nawalny. Laufenbergs Verhalten sei vor diesem Hintergrund „höchst unsensibel“. Ministerpräsident Boris Rhein lässt nun seine Schirmherrschaft ruhen. „Wir haben den Intendanten gebeten, auf Frau Netrebko zu verzichten“, teilten Land und Stadt in ihrer Erklärung weiter mit. Und fügten hinzu: „Leider erfolglos.“
Tatsächlich sieht sich der streitlustige Laufenberg, der 2012 von seinem Posten als Opernintendant in seiner Heimatstadt Köln nach monatelanger Schlammschlacht fristlos entlassen worden war, als Kämpfer für die Freiheit der Kunst. In einer Mitteilung des Staatstheaters heißt es: „Wir in der westlichen Welt, die wir gerade erleben, wie unsere Freiheit in der Ukraine leider auch mit Waffen und Menschenleben verteidigt werden muss, dürfen nie Künstler und Menschen ausschließen, die zu uns gehören und die wir für den Kampf gegen Unrechtsregimes wie das von Wladimir Putin dringend auf unserer Seite brauchen.“ Laufenberg selbst glaubte laut einem Bericht der „FAZ“ zu wissen, dass sowohl das eingeladene Taras-Schewtschenko-Theater aus Charkiw wie auch das ukrainische Nationalorchester an Netrebkos Auftritt nichts auszusetzen hätten.
Ultimatum gesetzt
Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte. Denn am Dienstag wurde bekannt, dass beide Ensembles ihre Mitwirkung bei den Maifestspielen nun wegen Netrebko zurückgezogen haben. Die „FAZ“ zitiert ein Schreiben des Theaters aus Charkiw, worin Laufenberg eine Art Ultimatum gesetzt wird: „Jetzt ist es an Ihnen, zu wählen, wessen Kultur Sie mit Ihrem Festival eine große Bühne bieten werden: der Kultur des Aggressors und terroristischen Staates oder der Kultur des demokratischen Staats, der verzweifelt für die Werte der ganzen zivilisierten Welt kämpft.“
Für Laufenberg indes erklärt sich der Widerspruch als Folge politischen Drucks, den sich die Künstlerinnen und Künstler aus ihrem Heimatland ausgesetzt sähen. Angeblich habe Ukraines Kulturminister Oleksandr Tkachenko die Position der Regierung in einem Schreiben auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth dargelegt. Roths Berliner Büro jedoch dementierte. „Uns liegt kein solches Schreiben des ukrainischen Kulturministers an Staatsministerin Roth hinsichtlich der Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden vor“, sagte eine Sprecherin am Mittwoch dem Hessischen Rundfunk (hr).
Dass die gleichzeitige Einladung von Netrebko und ukrainischen Künstlern einen Eklat heraufbeschwören würde, müsste Laufenberg eigentlich wissen. Denn als Meister im Spiel mit der Provokation kennt er die Mechanismen genau. Das zeigte er zum Beispiel im August des Jahres 2018, als er im Rahmen der Biennale des Staatstheaters eine vier Meter große, gold-glänzende Statue aufstellen ließ, die den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan darstellte. Der Aufschrei war erwartungsgemäß groß. Laufenberg verteidigte die Aktion damals als ein Statement für die freie Meinungsäußerung. „In einer Demokratie muss man alle Meinungen aushalten.“