Ausstellung im Kunstmuseum Bonn Wenn die Kunstszene Party feiert

Bonn · Unter dem Titel „Deutscher Kaviar“ zeigt das Kunstmuseum Bonn erstmals einen Überblick über die städtische Fotosammlung. Rund 100 Bilder und Serien von 1965 bis heute sind zu sehen.

 Die Pop- und Subkultur lag ihm am Herzen: 1975 porträtierte Achim Duchow 201 Protagonisten der Düsseldorfer Szene, zu der er neben vielen Künstlern auch den Fußballer Günter Netzer zählte.

Die Pop- und Subkultur lag ihm am Herzen: 1975 porträtierte Achim Duchow 201 Protagonisten der Düsseldorfer Szene, zu der er neben vielen Künstlern auch den Fußballer Günter Netzer zählte.

Foto: Benjamin Westhoff

Gäbe es einen Soundtrack zu dieser Foto-Ausstellung, er wäre laut und ziemlich lustig: Man wäre live bei etlichen Künstlerfesten in Düsseldorf und New York dabei; Lachen, Quatschen, ein Frühstücks-Kaffeekränzchen mit 50 Ladys und Joseph Beuys; etwas Koyotengeheul dazu; das Rattern der Motorkamera; das Geraune auf dem Börsenparkett; „Driven To Tears“ von The Police und „I Shot The Sheriff“ von Bob Marley; vielleicht würde auch Günter Netzer, der entspannt auf der Couch lümmelt, etwas über das abstrakte Bild sagen, das hinter ihm hängt. Ein babylonisches Stimmengewirr stellt man sich als Geräuschkulisse zu dieser Ausstellung im Kunstmuseum Bonn vor, in der partiell aber auch eine wahrnehmbare Stille herrscht, die künstliche Abwesenheit von allem Natürlichen, die reine digitale Fiktion.

Das Kunstmuseum Bonn hat für die aktuelle Ausstellung „Deutscher Kaviar“ erstmals gründlich und ausführlich seine Fotoschätze gesichtet und etliche Überraschungen zutage gefördert. Seit 1970 – eine der ersten Erwerbungen, Duane Michals‘ Magritte-Porträt von 1965, hängt in der Schau – sammelt das eigentlich auf deutsche Malerei ab 1965 abonnierte Haus Fotokunst. Die wurde sammlungstechnisch zunächst noch irgendwo zwischen Zeichnung und Druckgrafik verortet, bis richtig Dynamik in den Prozess kam: Anfang 1981 übernimmt das Kunstmuseum die Arbeiten der Galeristin und Sammlerin Ingrid Oppenheim.

Erdung in der rheinischen Szene

Eine exquisite Videokollektion und ein großes Konvolut von Fotografien kommen ins Haus. Verbunden damit ist eine gewisse Erdung in der rheinischen Kunstszene, die nicht nur durch Protagonisten wie Jürgen Klauke, Katharina Sieverding oder Ulrike Rosenbach zustande kommt, sondern auch durch die Vorliebe insbesondere der Düsseldorfer Künstlerszene, sich selbst dokumentarisch in Fotoserien zu verewigen: Achim Duchow, Rudolf Bonvie, Klaus vom Bruch und Sieverding sind Chronisten der Szene und deren Tableaus unschätzbare Quellen über die Befindlichkeit und Aufstellung insbesondere der Düsseldorfer. Jan Philipp Nühlen hat sich die Mühe gemacht, „möglichst alle Protagonisten“ der Feierbiester zu identifizieren.

NRW-Forschungsvolontariat

Und viel mehr als das: Im Rahmen eines von NRW geförderten Forschungsvolontariats hat er sich an die systematische Aufarbeitung und Erforschung der städtischen Fotosammlung gemacht. Das Ergebnis ist unter anderem die hervorragende Ausstellung „Deutscher Kaviar“, die mit 98 Fotos rund ein Viertel der Sammlung zeigt. 408 Einzelarbeiten und Serien von 131 Künstlerinnen und Künstlern sind in der städtischen Sammlung untergebracht. Zählt man noch Dauerleihgaben dazu, summiert sich die Zahl der Einzelarbeiten und Zyklen auf rund 600. Am 24. August soll ein Bestandskatalog der Bonner Fotoschätze erscheinen.

So systematisch Nühlen gearbeitet hat, so unsystematisch wurde gesammelt. Was sich in der Schau spiegelt: Zwar wird ein zentraler Strang der NRW-Fotografie, der Düsseldorfer, mit Bernd und Hilla Becher und einigen Schülern, etwa Thomas Struth, Boris Becker und Andreas Gursky – mit etlichen Lücken – nachgezeichnet. Doch der Essener Strang mit Otto Steinert an der Spitze bleibt unterbelichtet, immerhin kommt sein Schüler Timm Rautert zum Zug. Auffallend ist ein dokumentarisch-reportagehafter Schwerpunkt, ein zweiter Schwerpunkt ist eine Fotografie, die konzeptuellen Ansätzen folgt.

Kapitalismus und die Folgen

Als dominierenden Zeitgeist hat Nühlen einen „stark beschleunigten Kapitalismus“ und dessen soziale und politische Kollateralschäden ausgemacht. So beginnt er seine Schau mit Bildern, die entweder eine entvölkerte Technowelt (Lewis Baltz) oder ein austauschbares, redundantes Individuum im postindustriellen Zeitalter zeigen, wie es vielfach geklont in Gurskys Börsen-Wimmelbild aus Chicago oder Rauterts verpixelten Broker-Rückenansichten aus Frankfurt vorkommt. Nostalgie und eine gediegene Langeweile kommen bei den Wasser- und Fördertürmen von den Bechers und den leeren Straßenbildern von Struth auf. Das soziale Gewissen meldet sich bei Sigmar Polkes „Kölner Bettlern“ und Darcy Langes Werktätigen.

Künstlerporträts und Kunstaktionen

Dann kommen die herrlichen Künstlerporträts von Bonvie, die vom Fernseher abfotografierten Momente einer Parade in Kalifornien (Rosenbach). Die Fotografie dokumentiert Kunstaktionen von Beuys, Christo und Jeanne-Claude oder Franz Erhard Walther, oder sie zelebriert – mit ironischer oder gewollter Nähe zur Werbefotografie – die Schönheit der Dinge. Begeisternd: Christopher Muller und Heidi Specker. Da ist Wolfgang Tillmans‘ Kunst der Gesellschaftsfotografie, und als Kontrast kommen höchst spekulativ, düster, rätselhaft und faszinierend die medienkritischen Bilder Astrid Kleins daher. Während sich imaginär Dunja Evers‘ Plattenteller drehen und man sich durch die Stellung des Tonarms genau vorstellen kann, was gerade läuft, zeigt Inge Dick die Schönheit der Leere: Die letzten Bilder einer riesigen Polaroid-Kamera. 

Was kommt danach? Die Mappe der Diskurs- und Arbeitsplattform Darktaxa-Edition 2020 gibt Auskunft. Das Credo lautet: „Wir verstehen Fotografie als vernetztes und global vernetzendes Kommunikationsmedium und als eine sozial wie politisch relevante Praxis.“

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