Wirtschaft - Kaufrausch zwischen Palmen

In Berlin entsteht ein Warenhaus nach dem anderen, groß, schön, verführerisch und "janz weit draußen"

Sie wollen "die Kirche ersetzen", schrieb Emile Zola, und eine neue Religion predigen: die "der schönen Körper, der Koketterie, der Mode". Und dafür forderten die falschen Götter des Konsums Tempel, anbetungswürdige Tempel. An einem Ort, wo sie die Gläubigen schnell und leicht erreichen können. Die Rede ist von Kaufhäusern und ihren Kunden.

Welche Stadt eignete sich für Kauflust und Kaufrausch da zur Jahrhundertwende besser als Berlin, die Hauptstadt des Kaiserreiches, die wuchs und wuchs, um alles aufzuholen, was sie bisher gegenüber anderen Residenz- und Hauptstädten an Ruhm und Boden verloren hatte. Millionen Menschen lebten schon damals in Berlin, und sie waren bereit, den neuen Götzen ihr Geld zu opfern. Tietz zum Beispiel, dem riesigen Warenhaus an der Leipziger Straße, oder Wertheim, das gleich in der Nachbarschaft Scharen anlockte.

1904 war das Jahr der Kaufhäuser. Wertheim hatte gerade seine wichtigsten Bauphasen abgeschlossen. Der Architekt Alfred Messel hatte dafür eine vertikal gegliederte Fassade aus Glas und Pfeilern hingeklotzt. Innen gab es ein Palmenhaus mit Grotten und Wasserfällen, einen Saal, verkleidet mit Platten aus Onyx, Wandgemälde und Skulpturen - und unendlich viele Waren: von Antiquitäten und Büchern über Kleider und Parfum bis hin zu Reisen und Teppichen.

Nicht durch mehr Prunk wollte Tietz diese Pracht übertrumpfen, sondern mit proletarischem Flair - und begann noch im gleichen Jahr, auf dem Alexanderplatz ein neues Haus zu bauen, das schließlich im Oktober 1905 eröffnet wurde. Statt Klaviere wie Wertheim bot Tietz dort Grammophone feil, statt Porzellan Steingut. Praktisches wie die ersten Elektrostaubsauger avancierte bei Tietz zum Bestseller - neben der Kleidung. "Jehn se baden, jehn se baden mit Jefühl / Ohne Badehose is det Wasser kühl / Doch bei Tietz am Alexanderplatz / Jibt es Badehosen mit 'nem Pelzbesatz," freute sich der Volksmund über das breite Angebot.

Das jedoch sollte nicht lange die Liga der Schlaraffenhäuser anführen. Schon rüstete die Konkurrenz, um noch größer, schöner und verführerischer den Markt zu erobern. Die Visionen schwebten Adolf Jandorf vor, einem erfahrenen Warenhäusler. Doch allein wollte und konnte er seine hochtrabenden Pläne nicht realisieren, so machte sich Jandorf 1904 auf Partnersuche für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gemeinsam sollten die großteils anonymen Beteiligten den noch "wilden Westen" Berlins erobern, dieses Viertel "janz weit draußen".

Das "Kaufhaus des Westens", nach amerikanischer Mode kurz KaDeWe genannt, sollte alles übertreffen und alle befriedigen: den Mittelstand und seine Kaufkraft, aber auch "die verwöhnten Ansprüche der oberen Zehntausend, der obersten Eintausend, der allerobersten Fünfhundert", wie später das Wochenblatt "Der Roland von Berlin" nach der Eröffnung berichten konnte.

1905 ließ Jandorf an der Tauentzienstraße für die Erfüllung seiner Geschäftsträume einen Mietshausblock abreißen. Die Lage am Wittenbergplatz, damals eben noch "jotwede", wurde zur ersten Adresse der deutschen Kaufhausbranche. Der Architekt Emil Schaudt entwarf ein an drei Seiten freistehendes fünfgeschossiges Gebäude mit einer eher schlichten Fassade aus Muschelkalksandstein. Auch innen weicht das KaDeWe von der bisher so üppigen Dekoration ab und gliedert sich erstmals in klar getrennte Abteilungen.

Zu den Sehenswürdigkeiten zählt schon kurz nach der Eröffnung am 27. März 1907 die bis heute berühmte Lebensmittelsektion. Das KaDeWe beherbergt als erstes einen Frisör und einen Maßsalon für Damen. Die Deutsche Bank betrieb darin eine Niederlassung. Auch wenn die Diva der deutschen Warenhausszene schon mehrfach Runzeln angesetzt hatte - sie wurde immer fleißig geliftet und fährt noch heute, inzwischen im Besitz der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH, einer Tochtergesellschaft der Karstadt AG, Gewinne ein. Und noch immer zählt das KaDeWe mit einer Fläche von 60 000 Quadratmetern und einem Sortiment von über 380 000 Artikeln zu den größten Warenhäusern der Welt.

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