Proteste nach Tod einer 22-Jährigen Iraner in Bonn leiden mit ihren Verwandten in der Heimat

Bonn · Die Ausschreitungen nach dem Tod einer 22-Jährigen im Iran halten an. Die Polizei geht immer brutaler gegen Demonstranten vor und nimmt nicht selten ihren Tod in Kauf. In Amerika und Europa wächst eine Welle der Solidarität. Auch in Bonn.

Iraner in Deutschland protestieren gegen die Zustände in ihrem Heimatland.

Iraner in Deutschland protestieren gegen die Zustände in ihrem Heimatland.

Foto: Anika B.

Der Bonner Kurosch Irani nahm am vergangenen Samstag an einer Kundgebung für sein Heimatland teil. Die Zustände dort – es kommt zu zahlreichen Ausschreitungen nach dem Tod einer 22-Jährigen – bereiten dem 30-Jährigen aus Bad Godesberg große Sorge. „Meine Schwester wohnt in Teheran, also direkt in der Hölle.“ An ihrer Straße würden viele Demonstrationszüge entlangführen, was ihr psychisch sehr zu schaffen mache. „Als ich vorletzte Woche mit ihr per Videoanruf telefoniert habe, hat sie mir gezeigt, wie die Regimetruppen in Zivil vor ihrem Haus entlangmarschierten. Kurz danach wurde das Internet abgeschaltet.“

Irani beschreibt die Moralpolizei als äußerst brutal und skrupellos. „Sie haben keine Scheu, einem Journalisten beim laufenden Interview zwei Finger abzuschneiden.“ Öffentliche Folter, der Einsatz von Elektroschockern und Schüsse auf Zivilisten stünden auf der Tagesordnung. Es gebe keine Kontrolle über die Schussabgabe, die verwendete Munition werde nicht gezählt, und auch die Waffen der Revolutionsgarde könnten keinem einzelnen Schützen zugeordnet werden, berichtet Irani. So würden die Menschen in seiner Heimat immer wieder Zeugen oder gar Opfer von brutalen Polizeimaßnahmen, teils mit Paintball-Waffen, um flüchtige Demonstranten mit Farbpatronen kenntlich zu machen.

Einige Familien seien so mutig und böten Demonstranten ein Versteck bei sich zu Hause an. Ein riskanter Hilfsakt, meint Irani. „Denn die Mitglieder der Revolutionsgarde verschaffen sich willkürlichen Zutritt in alle Wohnungen, wann immer sie wollen. Wer sich widersetzt, wird bedroht, festgenommen oder erschossen.“

Warum Menschen sich für Fremde einer solchen Gefahr aussetzen würden? „Wenn du auf der Straße Blut gerochen hast oder eine Person vor dir erschossen wurde, denkst du nicht mehr rational, sondern handelst instinktiv und fühlst dich in der Verpflichtung, zu helfen.“ Das größte Problem sei, dass der eigenen Familie mit Folter gedroht werden könnte, wenn Bürger sich dem Regime widersetzten. Deshalb würden viele Familien schweigen und die Diktatur über sich ergehen lassen.

Trotz allem Leid in seiner Heimat ist Irani dankbar, gehört zu werden. „Im Iran könnte ein solches Interview nicht veröffentlicht werden, meint er. „Es wird nur über das berichtet, was der Regierung passt.“

Die Menschen stehen dem Regime unbewaffnet gegenüber

Auch Minoush Pourmonjezi ist entsetzt über die Zustände im Iran. Täglich verfolgt die 52-Jährige verschiedene Nachrichtensender, auch weil ihre Familie dort lebt. Die iranischen Behörden würden sämtliche Kräfte zur gewaltsamen Unterdrückung der landesweiten Proteste mobilisieren. „Sie sagen, dass die Repressionskräfte des Regimes auf Zivilisten schießen, sowohl mit Übungs- als auch mit Kriegsgeschossen.“

Die Menschen stünden einem Regime unbewaffnet gegenüber, das mit allen Menschen im Land willkürlich machen kann, was es will. Ohne Grund würden sie Demonstranten auf offener Straße foltern und danach verhaften. Besonders leidvoll sei das Leben in der islamischen Diktatur für Frauen: „Die Polizei hat uns nie beschützt, sondern schon immer unterdrückt. Viele werden misshandelt oder vergewaltigt.“ Zahllose verletzte Demonstranten hätten Angst, zur Behandlung in Krankenhäuser zu gehen, weil sie dort von der Polizei identifiziert werden könnten.

Wie für die meisten Menschen aus Pourmonjezis Heimat bleibt die Idee von Freiheit und Demokratie im Iran eine Wunschvorstellung. Als sie 2015 nach Deutschland kam, war Geschlechtergleichheit, wie sie ihr in Deutschland entgegengebracht wurde, noch keine Selbstverständlichkeit für sie. Die hiesigen Grundrechte und den Respekt weiß sie sehr zu schätzen. In Bonn habe sie bislang nur Menschen getroffen, die sie respektieren und ihr das Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Von Europa wünscht sie sich allerdings mehr Unterstützung für ihre Heimat. „Täglich wird dort gegen Menschenrechte verstoßen, nicht erst seit dem Tod von Mahsa Amini“, beklagt die zweifache Mutter. Wichtige Schritte wären die Unterlassung der Zusammenarbeit mit der iranischen Regierung und das Ausweisen des iranischen Botschafters in Berlin.

Mehrdad Bozorg zog vor sieben Jahren nach Bonn

Vor sieben Jahren zog Mehrdad Bozorg nach Bonn, nachdem er seine Heimat Teheran fürs Studium verlassen hatte. Schon damals sei die Stimmung im Iran angespannt gewesen. „Ich erinnere mich an das erste Mal, als die sogenannte Sittenpolizei eingeführt wurde, das war im Frühjahr 2007“, berichtet der 36-Jährige. „Es war der 11. Mai, und ich las es in der Zeitung. Ich habe daraufhin einen Artikel für unsere Studentenzeitung geschrieben, er wurde nicht ernst genommen – aber es war ernst“, betont Bozorg. Das habe sich einige Monate später herausgestellt, berichtet er.

„Als ich sah, wie ein Mädchen in Teheran wegen der fehlenden Kopfbedeckung getreten und verhaftet wurde, war es schrecklich für mich – sie traten auf ihr Knie und verhafteten sie direkt“, erinnert sich Bozorg. „Ich war schockiert und wütend, vor allem, weil ich nichts getan hatte und es vor meinen Augen geschah. Ich kann diese Szene nicht aus meinem Gedächtnis streichen. Ihr Knie war nach hinten gebeugt und sie schrie und weinte.“

Morde an Zivilisten

Die tragischen Ereignisse aus den letzten Jahren, darunter der Raketenabschuss eines Flugzeugs von Teheran nach Kiew im Januar 2020 und zahlreiche Morde an Zivilisten, belasten Bozorg noch heute. „Ich kann nicht vergessen, wie sie Demonstranten auf der Straße getötet haben. Ich kann keines der erzwungenen Geständnisse vor der Kamera vergessen: Es ist wie ein schnelles Videoband, das in meinem Kopf abläuft“, klagt er.

Um diese Zustände einzudämmen, sei dringende Unterstützung durch den Westen notwendig. „Ich muss sagen, dass mich die Reaktion des Deutschen Bundestages positiv überrascht hat. Ich hoffe, dass andere europäische Länder das Gleiche tun. „Vor allem die Medien sollten die aktuellen Ereignisse weiterverfolgen. Uns hat die Geschichte der Islamischen Republik gelehrt, dass sie Menschen im Stillen töten. Daher möchte ich alle Medien in den liberalen Ländern, insbesondere in Europa, dem Ursprung der modernen liberalen Zivilisation, darum bitten, die Stimme der iranischen Demonstranten zu sein.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort