Verbraucherschützer Klaus Müller im Interview „Das war nicht Unfähigkeit, sondern Vorsatz“

Interview | Düsseldorf · Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller hält die Lufthansa für unfähig. Statt ihren Kunden die Tickets zu erstatten, spielt sie weiter auf Zeit. Was er außerdem von Wirecard, einer Tierwohlabgabe und der Mehrwertsteuersenkung hält, verrät er im Interview.

 Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), geht unter anderem mit der Lufthansa hart ins Gericht.

Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), geht unter anderem mit der Lufthansa hart ins Gericht.

Foto: picture alliance / dpa/Daniel Naupold

Dass Fluglinien ihren Kunden seit Monaten die Rückerstattungen für ausgefallen Flüge vorenthalten hält Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller für einen Skandal. Mit Müller sprach Birgit Marschall.

Hunderttausende Deutsche kehren in diesen Wochen aus dem Urlaub zurück. Brauchen wir für alle Urlaubsrückkehrer flächendeckend kostenlose Corona-Tests?

Klaus Müller: Ja, unbedingt. Bayern ist aus guten Gründen mit einem breiten Angebot kostenloser Corona-Tests für alle Urlaubsrückkehrer vorgeprescht. Daran sollten sich die anderen Bundesländer ein Beispiel nehmen. Es gibt das Bedürfnis der Menschen, wissen zu wollen, ob sie sich infiziert haben. Ich fordere die 15 anderen Bundesländer auf, es Bayern gleichzutun. Für flächendeckende Tests ist genug Geld da. Auch die Testkapazitäten sind vorhanden.

Kann der Staat Reiserückkehrer aus Risikogebieten zwingen, in eine 14-tätige Quarantäne zu gehen?

Müller: Es gibt keine 100prozentige Kontrollmöglichkeit: Der Staat kann nicht wissen, wer als Urlaubsrückkehrer ein Risiko für die Bevölkerung darstellt. Nicht alle Reisewege sind flächendeckend kontrollierbar. Auch die Einhaltung einer Quarantänepflicht lässt sich nicht flächendeckend kontrollieren. Jede Pflicht, die nicht kontrolliert werden kann, höhlt die Akzeptanz dafür aus. Das Robert-Koch-Institut legt fest, welches die Risikogebiete sind. Komme ich aus einem dieser Gebiete zurück, obliegt es also letztlich auch der Verantwortung jedes einzelnen, für 14 Tage in Quarantäne zu gehen.

Was tut sich bei den Erstattungen von bezahlten Reisen, die coronabedingt ausfallen mussten?

Müller: Die Reisebranche und die Fluglinien haben in einer dreisten Art versucht, Europarecht zu brechen. Auch die Bundesregierung war dabei, die Vorkasse der Kunden in ein unverzinstes Zwangsdarlehen umzuwandeln. Es hat nie eine stärkere Entmündigung der Verbraucher gegeben als durch die Reisebranche.

Aber dann hat die Politik nach massivem Druck der EU ihre schützende Hand über der Branche ja doch noch weggezogen…

Müller: …ja, aber die Lage hat sich für Verbraucher kaum gebessert. Es gibt bisher nur vereinzelte Erstattungen. Selbst die Lufthansa, die wir Steuerzahler mit neun Milliarden Euro stützen, kriegt es bisher nicht auf die Reihe, ihren Kunden das Geld für ausgefallene Flüge zurückzugeben. Ich halte das nicht für Unfähigkeit, sondern ganz klar für Vorsatz. Die Lufthansa hat automatisierte Erstattungssysteme abgeschaltet und spielt weiter auf Zeit.

Warum wird das nicht kontrolliert?

Müller: Das Luftfahrtbundesamt versagt hier in seiner Aufsichtsfunktion. Bußgelder, die eigentlich fällig wären, gibt es nicht. Verkehrsminister Scheuer, dem das Amt untersteht, wird seiner Verantwortung gegenüber Millionen von Reisenden nicht gerecht. Im Juni waren laut Deutschem Reiseverband Flugtickets im Wert von vier Milliarden Euro noch nicht erstattet. Zwei Drittel der etwa 150.000 Beschwerden, die von April bis Juni in den Verbraucherzentralen eingegangen sind, bezogen sich auf nicht erstattete Reisekosten.

Empört sind auch viele Aktionäre, deren Wirecard-Anteile kaum noch etwas wert sind. Was ist bei Wirecard schiefgelaufen?

Müller: Das Maß an krimineller Energie bei Wirecard war nach allem, was bisher bekannt ist, unvorstellbar groß. Das Hauptproblem ist nach meinem Eindruck das dramatische Versagen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, einer der vier Großen der Welt, die wohl über Jahre hinweg nicht sorgfältig genug geprüft hat.

Wie kann der Gesetzgeber ein solches Versagen abstellen?

Müller: Die Regeln gehören auf den Prüfstand. Unter anderem muss eine Haftungsverantwortung der Wirtschaftsprüfer für zertifizierte Jahresabschlüsse deutlich ausgeweitet werden. Auch die Aufsichtskompetenz der Finanzaufsicht BaFin muss überdacht werden. Sie muss künftig auch inhaltlich prüfen dürfen, ob das Geschäft einer Firma wirklich trägt. Dass sie das bislang gar nicht darf, ist ein Anachronismus. Hybridunternehmen wie Wirecard, die längst jenseits des klassischen Bankgeschäfts tätig sind, müssen ebenfalls geprüft werden können. Wenn die „Financial Times“ berichtet, da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu, muss müssen bei der BaFin alle Alarmglocke angehen. Im Fall Wirecard ist das wegen des beschränkten BaFin-Mandats nicht passiert.

Landwirtschaftsministerin Klöckner will eine Fleischabgabe durchsetzen. Sie hingegen lehnen das ab, fordern aber trotzdem mehr Tierwohl – wie passt das zusammen?

Müller: Eine Fleischsteuer führt nicht unbedingt dazu, dass es dem Tier besser geht. Das bedeutet erstmal nur, dass ich mehr bezahle. Da frage ich Frau Klöckner, wo ist die Garantie, dass eine Steuer nicht einfach nur mehr Geld ins System spült? Meine große Sorge ist, dass der Bundestag nach langen Diskussionen eine Fleischsteuer beschließt – sich aber am vielfachen Leid der Nutztiere leider nichts ändert.

Wie kann man die Agrarindustrie zur Veränderung bewegen?

Müller: Man muss sie regulieren. Wenn die Produktionsstandards besser werden, dann wird Fleisch teurer. Eine Umfrage, die wir in Auftrag gegeben haben, hat schon 2016 gezeigt, dass zwei Drittel der Verbraucher mehr Geld für Fleisch zahlen würden. Vorausgesetzt, die Tierhaltung ist tatsächlich besser.

Wie lautet Ihre Lösung?

Müller: Wir brauchen klare und strenge Regeln für die Haltung der Tiere und eine bessere Kontrolle, die zu einer messbaren Verbesserung der Tiergesundheit in den Ställen führt. Und wir setzen uns für ein Tierwohllabel ein, damit Verbraucher erkennen, aus welcher Haltungsform Fleisch oder Milch stammen. Bei Eiern gibt es das längst. Wir brauchen eine ganz einfache Kennzeichnung, wie wir das bei Eiern schon haben: Käfig-, Boden-, Freilandhaltung und Bio. Einfache Piktogramme, das könnte man auch auf Fleisch übertragen. Ich würde da noch weitergehen und sagen: Weitere Werbung ist dann zu untersagen. Wir haben 160 Öko- und Soziallabel in Deutschland. Das ist oft irreführende Werbung und Verbrauchertäuschung.

Wie hat die Mehrwertsteuersenkung auf die Preise gewirkt?

Müller: Im wettbewerbsintensiven Lebensmittelhandel wird die Mehrwertsteuersenkung weitergegeben und teilweise sogar mehr als das. Wir können das noch nicht in der Breite beurteilen, dazu ist es noch zu früh. Was wir festgestellt haben: Die Preise wurden mitunter zunächst erhöht, um sie dann wegen der geringeren Mehrwertsteuer wieder zu senken. Im Gastronomiebereich wird praktisch gar nichts weitergegeben. Aus Verbraucherperspektive ist das ein Flickenteppich.

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