Daniel Kehlmanns „Tyll“ im Spiegel der Bonner Forschung Mittelalter-Experten blicken auf ein Buch von 2017

Bonn · Das Buch stammt nicht aus dem Mittelalter, das Thema schon: Nachwuchsforscher der Älteren Germanistik arbeiten an einem Sammelband zu Daniel Kehlmanns „Tyll“. Denn auch der ist ein Schelm, wie sein mittelalterliches Vorbild Eulenspiegel.

 Die Uraufführung der Bühnenfassung des „Tyll“ nach dem Roman von Daniel Kehlmann war 2018 am Schauspiel Köln zu sehen.

Die Uraufführung der Bühnenfassung des „Tyll“ nach dem Roman von Daniel Kehlmann war 2018 am Schauspiel Köln zu sehen.

Foto: Tommy Hetzel

Nachwuchswissenschaftler der Älteren Germanistik an der Uni Bonn arbeiten an einer spannenden Buchproduktion: Sie haben sich Daniel Kehlmanns Bestseller „Tyll“ von 2017 vorgenommen, der im Dreißigjährigen Krieg spielt. Sie beleuchten den modernen, wort­gewaltigen Schelmenroman aus mediävistischer Sicht (Mediävistik ist Mittelalterforschung). „Tyll“ ist an das historische Vorbild Till Eulenspiegel angelehnt, der wahrscheinlich rund 300 Jahre früher lebte.

„Immer mal wieder beschäftige ich mich mit Narren und komischer Literatur des Mittelalters“, berichtet Germanistik-Privatdozent Peter Glasner über seine Seminarangebote. Unlängst sei sein Masterseminar mit dem Titel „Narrheit intertextuell: Vom Pfaffen Amis zu Kehlmanns Tyll“ auf großes Interesse getroffen.

„Es ging um das Wieder- und Anderserzählen des Eulenspiegel-Stoffes und seiner bekanntesten Schwänke“, erklärt Glasner. Dabei habe Kehlmanns Romanfigur mit ihren zahllosen Spuren in die mittelalterliche Literaturgeschichte die Studierenden besonders fasziniert.

Die Autoren der besten Haus­arbeiten habe er dann angesprochen, ob sie nicht Lust hätten, an einem Sammelband der mediävistischen Nachwuchsforschung mitzuwirken, sagt Glasner. Und dann habe bereits die Themenliste des geplanten Bandes das Interesse des Schwabe Verlages geweckt.

Fabian Böker, Anna Bücken, Niclas Deutsch und Robert Menne beschlossen mit Peter Glasner, „dranzubleiben“. Im Laufe dieses Jahres werden sie ihre Beitragsmanuskripte beim Verlag einreichen. Beim jüngsten, auch für die Öffentlichkeit zugänglichen „Dies academicus“ der Uni Bonn stellten sich die jungen Leute mit Glasner schon einmal weiteren Interessenten vor.

Ein sprechender Esel und magische Beschwörungen

Kehlmann kombiniere den bekannten Eulenspiegel-Stoff kunstvoll aus verschiedenen Quellen mit neuen Pointen, berichtet Anna Bücken über ihre Begeisterung auch für Kehlmanns sprechende Esel und magische Beschwörungen. „Zudem wird der historische Kontext des Dreißigjährigen Krieges, in den er seinen Tyll versetzt, durch das realistische Erzählen lebendig und damit erlebbar.“

Es handele sich beim modernen Bestseller um eine leichtfüßige Komposition unterschiedlicher historisch-realer sowie literarischer Wissensbestände, ergänzt Niclas Deutsch. Das „Anders“-Erzählen des allseits bekannten Eulenspiegel-Stoffs versetze in eine andere Epoche und ermögliche eine niedrigschwellige Lektüre. „Das spezielle Erzählverfahren, geprägt von Auslassungen und Unwägbarkeiten, sowie die Nutzung von populären Motiven des Unheimlichen tun ihr Übriges“, so Deutsch.

(Spät-)Mittelalterliche Texte blieben heute natürlich immer fremd, gibt Robert Menne zu bedenken. Jeder Kontakt mit ihnen finde unter Bedingungen statt, die gänzlich andere als die ihrer Entstehung und ihrer ersten Rezeptionen seien.

„Aber diese unauflösbare Fremdheit reizt und fordert dazu heraus, immer wieder neue Wege hin zu diesen Texten und damit in die spätmittelalterliche Lebenswelt zu suchen“, erläutert er die Faszination für sein Fach und speziell diesen Zugang über moderne literarische Texte. Die Beschäftigung mit spätmittelalterlichen Texten sei letztlich wie die mit Kehlmanns Tyll: „Tyll fasziniert uns dadurch, dass er ganz anders ist als wir“, sagt Menne. Dieser Kontakt mit dem Fremden und der Reiz des Anderen sei womöglich das, was uns letztlich dann doch immer bekannt vorkomme.

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