Patientenkolloquium am 19. Mai UKB berät zu Krisen und Belastungen rund um die Geburt

Bonn · Beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn geht es um Krisen und Belastungen rund um die Geburt. Zudem werden Angebote des Zentrums für Geburtshilfe und Frauenheilkunde zur Unterstützung betroffener Frauen vorgestellt.

 Zeit zu zweit: Nach der Geburt brauchen viele Frauen erst einmal Ruhe, um sich auf das neue Leben einzustellen.

Zeit zu zweit: Nach der Geburt brauchen viele Frauen erst einmal Ruhe, um sich auf das neue Leben einzustellen.

Foto: UKB/Ukom-redaktion@ukb.uni-bonn.

Die Schwangerschaft ist unkompliziert und die Vorfreude auf das Wunschkind vom ersten Tag an groß. Die Vorsorgeuntersuchungen geben nicht den geringsten Anlass zur Sorge, die werdende Mutter fühlt sich wohl. Bei der Geburt verläuft alles nach Plan. Und zu Hause ist – umsorgt von einem Netzwerk aus Familienmitgliedern und Freunden – genug Zeit, um sich in Ruhe zu erholen und dann in den neuen Alltag mit Kind zu starten. Glückwunsch: So kann es laufen.

Bedenklich wird es allerdings, wenn aus solchen Idealfällen eine Erwartungshaltung entsteht, die Fragen, Sorgen und Probleme ausklammert. Denn oft verlaufen Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit eben nicht so, wie man sich dies erhofft. Beschwernisse und psychische Probleme werden von den Betroffenen dann als eigenes Versagen wahrgenommen und Gefühle wie Schuld und Scham zu häufigen, mitunter sogar ständigen Begleitern.

Über Ängste und Belastung sollte man offen sprechen

„In Zeiten der Selbstoptimierung gehen wir mehr und mehr davon aus, dass alles gut klappen muss – insbesondere die Geburt. Viele Frauen sprechen nicht offen über Belastungen und Ängste, nehmen sie doch an, dass alle anderen werdenden Mütter keine Probleme haben und voller Freude sind“, sagt Dr. Andrea Hocke, Leiterin der Sektion Gynäkologische Psychosomatik am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde (UKB). Gemeinsam mit Privatdozentin Dr. Brigitte Strizek, Leiterin der Geburtshilfe und Fetal­chirurgie am UKB, wird sie beim nächsten Patientenkolloquium am Donnerstag, 19. Mai, von 18 bis 19.30 Uhr (wieder als öffentliche Zoom-Konferenz) über Krisen und Belastungen rund um die Geburt sprechen, das Bonner Modell der Betreuung vorstellen und einen Ausblick geben, wie Schwangerschaft, Entbindung und die Zeit nach der Geburt trotz Vorbelastungen positiv erlebt werden können.

Das Team aus Ärztinnen und Psychologinnen der Gynäkologischen Psychosomatik kümmert sich an der Schnittstelle zwischen Gynäkologie, Geburtshilfe, Psychosomatik und Psychiatrie ambulant und stationär um Diagnostik, Beratung und gegebenenfalls auch die Therapie von Patientinnen mit psychischen Belastungen oder Störungen. Dazu gehört neben Beratungen bei gynäkologischen Themen oder Krebs­erkrankungen auch Unterstützung bei Themen wie unerfülltem Kinderwunsch, Unsicherheiten, Zweifeln und Ängsten während der Schwangerschaft, körperlichen und/oder psychischen Vorerkrankungen (siehe unten) sowie auffälligen pränatalen Befunden, Fehl- oder Totgeburten. Dabei versteht sich das Team der Gynäkologischen Psychosomatik und der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatale Medizin als Ansprechpartner für Betroffene, für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen sowie auch für andere Kliniken.

„Es besteht nach wie vor eine große Hemmschwelle, offen über Schwierigkeiten zu sprechen“

Eine Schwangerschaft kann aus vielerlei Gründen belastet sein. Das sind unter Umständen körperliche Vorerkrankungen der Mutter: zum Beispiel des Herz-Kreislauf-Systems oder der Nieren. Auch Diabetes, Krebserkrankungen, rheumatologische oder andere Autoimmunkrankheiten sowie psychische Erkrankungen stellen besondere Herausforderungen dar, mit denen die Betroffenen jedoch keineswegs allein fertig werden müssen. Das Bonner Modell der Betreuung ist auf die speziellen Bedürfnisse dieser Frauen ausgerichtet und daraus entstanden.

Denn es bestehe, so Strizek, „nach wie vor eine große Hemmschwelle, offen über Schwierigkeiten zu sprechen. Bestehende Hilfsangebote sind oft unbekannt.“ Manche fragen sich vielleicht, ob ihr Kinderwunsch egoistisch ist und was die eigene Erkrankung für das Ungeborene bedeuten könnte. Andere blenden jeden Gedanken an ihre eigene Gesundheit und Sicherheit gänzlich aus. Doch an wen können sie sich wenden, um sich über die Probleme, die eine Schwangerschaft mit sich bringen kann, beraten zu lassen und offen über ihre Sorgen und Befürchtungen sprechen? „Bei mütterlichen Vorerkrankungen besteht oft Unsicherheit, zum Teil auch auf ärztlicher Seite“, führt Strizek weiter aus. Dort setzt die Beratung der Geburtshilfe und der Gynäkologischen Psychosomatik an: „Vorrangiges Ziel ist, eng mit den Eltern zusammen zu arbeiten“, betont Hocke. Offene und wertschätzende Kommunikation, Informationen, Gespräche in der Schwangerschaft und die Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen geben mehr Sicherheit und damit auch das Gefühl, schwierige Situationen meistern zu können. Dazu kommt eine Vernetzung mit niedergelassenen Ärzten, Sozialarbeitern, Frühen Hilfen, Beratungsstellen und Jugendämtern.

„Ein Beispiel dafür ist die Pränataldiagnostik“, erklärt Strizek. Schwangerenberatungsstellen wie die Diakonie mit ihrer Beratungsstelle an der Frauenklinik bieten eine psychosoziale Beratung an, um den Schwangeren eine informierte Entscheidung zu ermöglichen: Welches Angebot will ich wahrnehmen? Und wie gehe ich mit einem möglicherweise auffälligen Testergebnis um? „So sind sich Eltern sehr oft unsicher, bei deren Ungeborenem eine Trisomie 21 diagnostiziert wird, ob sie die Schwangerschaft fortführen sollen“, berichtet Strizek. Diese Zeit ist sehr schmerzhaft und erfordert viel Einfühlsamkeit in der Beratung und Begleitung.

Ein weiteres sensibles Thema ist eine möglicherweise vorangegangene Gewalterfahrung der werdenden Mutter – sowohl in sexualisierter als auch in anderer Form. „Das kann dazu führen, dass das Geburtserleben sie erneut traumatisiert. Wenn man diese Vorbelastung aber kennt, kann man dies bei der Entbindung entsprechend berücksichtigen“, erläutert Hocke. „Die Frage nach vorangegangenen Gewalterfahrungen sollte ganz selbstverständlich zur Anamnese dazu gehören“, wünscht sich Strizek.

„Viele Frauen fühlen sich völlig überrollt“

Eine Geburt kann aber auch ohne Vorbelastung als traumatisch erlebt werden. „Oftmals sind es gar nicht einmal die ungeplanten Maßnahmen wie Kaiserschnitt oder eine Geburt mittels Zange oder Saugglocke, sondern die Kommunikation in Notsituationen ist nicht gut, und viele Frauen fühlen sich völlig überrollt“, schildert Hocke. „In Nachbesprechungen mit dem Team können sie dann diese Erfahrungen schildern und die Abläufe nochmals besprechen. Das Geburtserleben kann so oft besser verarbeitet werden“, fügt Strizek hinzu.

„Psychosoziale Unterstützung hat einen hohen Stellenwert in der Beratung“, betont Hocke. Das gilt auch für die Zeit nach der Entbindung, die ebenfalls schwierig werden kann. Einige fühlen sich durch die neue Verantwortung für ihr Baby verunsichert und haben Angst, etwas falsch zu machen und ihm damit Schaden zuzufügen. Zehn bis 15 Prozent aller Frauen erleiden nach der Geburt eine Wochenbettdepression mit allen Symptomen einer „normalen“ Depression bis hin zur Suizidalität. Und wieder spielen Schuld und Scham eine Rolle. „Frauen trauen sich nicht, über ihre Belastung, wie dem Gefühl, dem neugeborenen Kind nicht die nötige Liebe zu geben, wirklich offen zu sprechen.“ Ratschläge wie „Jetzt freu‘ dich doch mal“ oder „Mach dir doch keinen Stress“ helfen da nicht. „Verunsicherung ist jedoch nichts Unnormales, und es besteht auch keine Verpflichtung, das Neugeborene überglücklich zu begrüßen“, stellt Hocke klar. Manchmal braucht die Liebe einfach etwas mehr Zeit. „Aber auch Wochenbettdepressionen des Vaters sind nicht so selten. Ihnen fällt es dabei noch schwerer, über ihre Belastungen zu sprechen.“

„Der offene Dialog über Belastungen und Sorgen kann für alle Beteiligten eine große Entlastung bedeuten. Ein gutes Erleben und ein freudiges Erwarten des Kindes wird damit für viele Frauen möglich“, zieht Hocke Bilanz. Denn es geht stets um das individuelle, nicht austauschbare Erleben.

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