Ausmaß nach Flutkatastrophe Bilanz der Flutschäden in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Bad Neuenahr-Ahrweiler · Die Stadt trauert um 80 Todesopfer und schätzt die Schäden an der Infrastruktur auf 1,6 Milliarden Euro. Hunderte seien verletzt worden und 25.000 Menschen mittel- oder unmittelbar von den Auswirkungen der verheerenden Flutwelle betroffen.

 Die Kurgartenbrücke am Bad Neuenahrer Spielcasino war die wichtigste Fußgängerverbindung in der Kernstadt und soll schnell ersetzt werden.

Die Kurgartenbrücke am Bad Neuenahrer Spielcasino war die wichtigste Fußgängerverbindung in der Kernstadt und soll schnell ersetzt werden.

Foto: Martin Gausmann

Auf 1,6 Milliarden Euro schätzt die Stadtverwaltung der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler die durch die Flutkatastrophe entstandenen Schäden an der kommunalen Infrastruktur. Dies gab Bürgermeister Guido Orthen in der jüngsten Sitzung des Stadtrates bekannt. 25.000 Menschen seien mittel- oder unmittelbar von den Auswirkungen der verheerenden Flutwelle betroffen. Fast 80 Menschen hätten in Ahrweiler und Bad Neuenahr ihr Leben verloren. Hunderte wurden verletzt.

Keiner geht unverletzt zur Tagesordnung über

16 von 18 Brücken seien zerstört, zahlreiche Straßen nicht mehr befahrbar, Bürgersteige, Plätze und Parks seien zertrümmert, Schulen und Kindergärten unbrauchbar geworden. Das Strom-, Wasser-, Abwasser- und Gasnetz sei weitgehend so stark beschädigt, dass nun ein mühevoller und zeitraubender Neuaufbau nötig sei. „Diese Katastrophennacht hat Herzen gebrochen, hat Seelen geschunden. Keiner geht unverletzt zur Tagesordnung über“, sagte Bürgermeister Orthen. In einer Schweigeminute gedachte man der Toten. Auch wenn nun Trauer, Wut und Verzweiflung spürbar seien, sei aber auch eine Zeit der Geduld, Nachsicht und Barmherzigkeit angebrochen: eine Zeit, in der es gelte, zusammenzustehen. „Wir wollen diese Stadt wieder aufbauen – gemeinsam“, kündigte Orthen an.

Nahezu zwei Stunden nahm der Lagebericht in Anspruch, der das Ausmaß der Schäden und Folgen deutlich werden ließ. Retten und Bergen habe zunächst im Vordergrund gestanden, ebenso das Bemühen, die Versorgungsinfrastrukturen notdürftig wiederherzustellen. Die Beseitigung der Trümmer und des angeschwemmtem Unrats zur Sicherung der Rettungswege sei ebenfalls einem Kraftakt gleichgekommen. Zudem galt es, die Bürger – soweit überhaupt möglich – zu informieren. Selbst die Hilfsorganisationen seien an ihre Grenzen gegangen, führte Orthen aus und dankte ihnen ebenso, wie den vielen privaten Initiativen, die in Not geratene Menschen mit Kleidung, Essen und Trinken versorgt hatten – den Landwirten, Bauunternehmern und unzähligen von auswärts angereisten Helfern, die koordiniert, organisiert und mit großer Tatkraft geholfen hatten, als „die offiziellen Kanäle noch nicht funktionierten“.

Kritik an diesen „Kanälen“, die gerade hinsichtlich der Versorgung der Menschen auch nach nahezu fünf Wochen noch immer nicht so funktionieren, wie es zu erwarten wäre, übte Orthen nicht. Nach wie vor bedarf es privater Initiativen, um die Menschen im Katastrophengebiet mit Mahlzeiten zu versorgen, da die Arbeit der offiziellen Hilfsorganisationen völlig unkoordiniert erscheint.

85 Prozent der Kreisstadt-Bevölkerung seien inzwischen wieder mit Strom versorgt, berichtete Orthen. Problematisch seien die evakuierten Häuser, zu denen man keinen Zutritt habe, der aber erforderlich sei, um dort die Stromversorgung in den betroffenen Straßenzügen wiederherzustellen. Gemeinsam mit den Energieversorgern arbeite man an Lösungen, wie die Gasversorgung für den Herbst und Winter sichergestellt werden könne. Im Ostteil der Stadt sei vermutlich in vier Wochen wieder mit einem intakten Netz zu rechnen.

180.000 Tonnen Sperrmüll in nur vier Wochen aus dem Ahrtal transportiert

Das Thema Müll, Bauschutt und Schlamm werde die Stadt wohl noch lange begleiten. Sowohl das Land als auch der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises seien bemüht, Zwischenlager und Deponien zu finden. Wie berichtet, wurden allein 180.000 Tonnen Sperrmüll in nur vier Wochen aus dem Ahrtal transportiert. Die normale Jahresmenge liegt bei 7500 Tonnen.

Vorangetrieben werden soll der Brückenbau: Orthen kündigte an, dass zunächst mit Hilfe des THW vier weitere Fußgängerbehelfsbrücken errichtet werden: an der Kurgartenstraße, an der Uhlandstraße (Amseltalbrücke), in Ahrweiler oder auch in Heppingen. Fieberhaft werde an Lösungen zur Schaffung von Schulraum und Kita-Plätzen gearbeitet. Wie berichtet, waren in der Katastrophennacht zahlreiche Schulen und Kindergärten stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Mit Hilfe von Nachbarkommunen soll ein Schulbetrieb nach den Sommerferien sichergestellt werden.

Bittere Jahre werden dem Einzelhandel, den Kliniken und der Touristik in der stark vom Fremdenverkehr und von Reha-Patienten lebenden Stadt bevorstehen. Allein die Kliniken in Bad Neuenahr und Ahrweiler haben bislang stets für mehr als 350.000 Übernachtungen in der Stadt gesorgt, etwa 450.000 Übernachtungen entfielen in den Hotelbetrieben, Pensionen und Ferienwohnungen auf Tagungen, Seminare und Touristen. Die Stadt rechne mit erheblich geringeren Steuereinnahmen. „Daher gilt beim 1,6 Milliarde Euro teuren Wiederaufbau eine 100 Prozent-Förderung“, erklärte Orthen. „Wir können noch nicht einmal ein Prozent dieser Summe an Eigenanteil aufbringen.“ 

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