Kommentar Krieg nach dem Krieg

KABUL · Der Einsatz von Nato-Truppen am Hindukusch geriet bei den Afghanen nicht in Verruf, weil die Soldaten die Talibanmilizen bekämpften.

Sie verloren wegen ihres Auftretens und ihrer Methoden und einer oftmals auch für westliche Zivilisten unerträglichen Arroganz viele Sympathien. Entschuldigungen für missratene Bombardements, fehlgeleitete Artilleriegranaten oder willkürliche Verhaftungen und ungerechtfertigte nächtliche Razzien gehörten während der vergangenen Jahre zur Ausnahme.

Präsident Hamid Karsai führte deshalb bis zuletzt einen Schaukampf um die Frage der Immunität ausländischer Soldaten und die Erlaubnis, ohne afghanische Zustimmung und Beteiligung afghanische Häuser auf afghanischem Boden betreten zu dürfen. Er verlor, wie er selbst es erwartet hatte. Ebenso war zu erwarten, dass die Talibanmilizen zumindest rhetorisch mit der Fortsetzung des Krieges drohen würden. Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass es keinen Schlussstrich am Hindukusch geben wird. "Der 2001 begonnene Krieg ist vorbei. Es lebe der Krieg" lautet das Motto, das vorläufig gilt.

Doch das Sicherheitsabkommen ist nicht die Ursache des zukünftigen Konflikts. Es spiegelt die Realität wider. Allen geschönten Darstellungen westlicher Staaten zum Trotz sind die 350 000 Soldaten und Polizisten Afghanistans nicht in der Lage, den nicht einmal 40 000 Taliban-Kämpfern die Stirn zu bieten. Das ist nach Ausgaben in Milliardenhöhe und Tausenden von Toten eine ziemlich schlechte Bilanz. Die Nato hat versagt. Die westlichen Regierungen hörten zu oft auf falschen Rat. Es gibt zudem keine Garantie, dass es einen positiven Kurswechsel in Afghanistan geben wird.

Das Sicherheitsabkommen trägt der offensichtlichen Wirklichkeit Rechnung. Der Westen mag sich in Afghanistan von einem Riesen in einen Zwerg verwandeln. Man sollte sich aber keinen Illusionen hingeben: Wahrscheinlich werden auch in den kommenden Jahren westliche Soldaten und Berater am Hindukusch sterben - und das Engagement wird weiter Steuergelder in Milliardenhöhe verschlingen.

Aber die Afghanen verdienen, nicht alleingelassen zu werden mit einem Feind, den die Nato nicht bezwingen konnte und dessen politische Pläne immer noch niemand genau kennt. Zudem mögen die Talibanmilizen mit dem üblichen Bravado auf die Vereinbarung des Sicherheitsabkommens reagieren. Sie haben schließlich heute noch radikalere Kämpfer in ihren Reihen als etwa vor vier Jahren.

Aber dank des Sicherheitsabkommens werden auch die Milizen erkennen müssen: Sie brauchen einen sehr langen Atem, wenn sie militärisch in Afghanistan die Oberhand gegen die lokalen Sicherheitskräfte und ihre ausländischen Helfer auf neun Stützpunkten gewinnen wollen.

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