Probenbesuch in Beuel Das Junge Theater Bonn zeigt „Der Trafikant“

Beuel · Das Junge Theater Bonn bringt Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“ auf die Bühne, ein Drama über den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland. Wir haben eine Probe besucht. Premiere ist am 6. April in Beuel.

 Bei den Proben für „Der Trafikant“ in Beuel: Gurmit Bhogal als Franz und Olja Artes als Anezka.

Bei den Proben für „Der Trafikant“ in Beuel: Gurmit Bhogal als Franz und Olja Artes als Anezka.

Foto: Thomas Kölsch

Die Stimmung ist aufgewühlt und laut. „Österreich, Österreich, Ja zu Deutschland“, brüllt jemand, ein anderer „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod“, ein Stein fliegt. Es ist der Tag vor dem „Anschluss“ Österreichs an Adolf Hitlers Reich. Wir sind aber nicht in Wien, sondern in einem Hinterhof in der Bonner ­­Hatschiergasse.

Und es gehört etwas Fantasie dazu, sich in die Zeit und die Stimmung vom März 1938 hineinzuversetzen. Aber plötzlich ist man mittendrin. Die ehemalige Schreiner-Werkstatt, später Tanzatelier von Fred Traguth, in der das Junge Theater Bonn seine Stücke probt, verwandelt sich vor dem imaginären Auge in eine Wiener Trafik, ein Laden, in dem man Zigarren und Zeitungen kaufen, einen Plausch mit dem Trafikanten halten kann. Otto Trsnjek, heißt der Trafikant in Robert Seethalers gleichnamigem Roman. Eine Jugendfreundin von Trsnjek, die in Nußdorf am Attersee wohnt, hat den Trafikanten gebeten, ihren 17-jährigen Sohn Franz als Lehrling bei sich aufzunehmen. Sigmund Freud, der Vater der Psycho­analyse, ist hier Stammkunde. Franz ­­freundet sich mit dem Professor an, der ist ganz angetan von dem Jungen.

Sigmund Freud berät den jungen Franz – mit wenig Erfolg

Wegen eines Corona-Falles im Ensemble ist die  Premiere von „Der Trafikant“ im Jungen Theater Bonn auf den 6. April verschoben worden. In der Hatschiergasse herrscht höchste Konzentration. Eine Schlüsselszene steht auf dem Probenplan. Die Spannung ist greifbar, Regieassistentin Franziska Bittner macht Notizen. Zwei Schauspieler sitzen da. Noch ist die Bühne von Anneliese ­­Jankowicz, Bühnenbild-Studentin in Münster, nicht fertig.

„Szene 18, Berggasse/Strassen/Park“ steht in Bittners Manuskript. Franz hat gerade seine erste sexuelle Erfahrung gesammelt – mit ­­Anezka, die tagsüber als Haushaltshilfe arbeitet und abends als nackte Indianerschönheit N’Tschina im Hinterhofkabarett „Zur Grotte“ tanzt. Sie ist verschwunden, er total durch den Wind, was der 27-jährige Schauspieler Gurmit Bhogal wunderschön spielt.

Er will sein Erlebnis mit dem väterlichen Freund besprechen: Freud doziert gerne, Jan Herrmann (47), der ihn spielt, hat seinen Spaß dabei: „Sexuelle Erlösung bedeutet nicht unbedingt auch eine gleichzeitige Besserung des Gesamtzustandes.“ Dem Jungen hilft das nicht viel weiter. Er hat Freud eine Zigarre aus der Trafik mitgebracht. Sie setzen sich auf eine Bank im Volksgarten. Der Alte steckt sie sich an. Im Hintergrund Getöse, Parolen, die Stimmung lädt sich auf. Sandra Kernenbach brüllt, deutet einen Steinwurf an. Der von Daniel Coninx gespielte Parkwächter tritt auf – in der Vorstellung wird das bestimmt Lacher provozieren. Er sucht nach Bomben im Abfallkörben und gesteht „schließlich kann man in so ein Bombenlegerhirn ja nicht hineinschauen.“

Ein Stück über den Anschluss Osterreichs an Hitlerdeutschland, ist das ein Stoff für Jugendliche?

Während Österreich also förmlich auf der Kippe steht, wird hier auf der Bank im Volksgarten das Liebesleben von Franz verhandelt. Eine groteske Idee von Seethaler, die die beiden Schauspieler engagiert umsetzen. Irgendwann wird Franz dem Alten sagen: „Ich frage mich gerade, was meine dummen, kleinen Sorgen überhaupt für eine Berechtigung haben, neben diesen ganzen verrückten Weltgeschehnissen.“

 Im Mikrokosmos Trafik: Gurmit Bhogal als Franz und Andreas Lachnit als Trafikant.

Im Mikrokosmos Trafik: Gurmit Bhogal als Franz und Andreas Lachnit als Trafikant.

Foto: Thomas Kölsch

Freud reagiert ruhig, scharfsinnig und souverän: „Erstens sind Sorgen in Bezug auf Frauen zwar meistens dumm, aber selten klein. Und zweitens könnte man die Frage auch andersrum stellen: Was hat dieses ganze verrückte Weltgeschehen überhaupt für eine Berechtigung neben deinen Sorgen?“

Sicherlich ein Schlüsselsatz nicht nur in diesem Stück. Ein zentraler Gedanke im Leben der jungen Theaterbesucher: Was ich fühle, hat genauso viel Berechtigung wie das, was den Erwachsenen wichtig ist.

Ein Stück über den Anschluss Osterreichs an Hitlerdeutschland, ist das ein Stoff für Jugendliche? JTB-Intendant Moritz Seibert ist überzeugt, dass das funktioniert, „wenn wir es hinkriegen, das gut zu erzählen“. Dass der Roman gerade Abiturstoff in NRW ist, kommt ihm und seinen jungen Zuschauern entgegen. Gedacht ist er aber für Menschen ab 14, Schüler der 9. Klasse. „Es ist eine tolle Geschichte mit einer ganz starken jungen Hauptfigur, die als Identifikation geeignet ist.“

Seethalers „Trafikant“ kommt ohne Holzhammer aus

In der Figur Franz stecke auch ein Stück Emanzipation, meint der Regisseur Bernard Niemeyer (40), der seit elf Jahren am Jungen Theater ist, erst als Schauspieler, dann als Regisseur. Franz sei eigentlich ein eher stiller Zeitgenosse, „lernt aber, aktiver zu werden, sich seine eigene Meinung zu bilden“. Und er habe ein klassisches Problem: Er ist verliebt. „Das ist für jeden Erwachsenen, für jedes Kind ein Thema – und dann hat Franz zufällig den Professor Freud als Ratgeber“, sagt Niemeyer. So einen Ratgeber wünschen sich Kinder.

Dass Seethalers Text ohne Holzhammer auskommt, findet Niemeyer sehr positiv, deutet aber an: „Trotzdem geht das Stück sehr dramatisch aus.“ Nicht zu hart? Niemeyer, der vom Musical herkommt, lobt gleichwohl die Leichtigkeit von Seethalers Text. Um den historischen Hintergrund und die wichtigste Frage – „Wie entsteht eine faschistische Gesellschaft?“ – zu vermitteln, hat sich das Goethe Institut eingeklinkt. Da wurden Begleitmaterialien entwickelt, die sich in erster Linie an Lehrer wenden.

Der Regisseur, der Seethalers „Der Trafikant“ zu seinem Lieblingsbuch erklärt hat, plaudert dann doch etwas aus dem Nähkästchen. Zum Beispiel, dass Herrmann ­­eigentlich nicht den Freud, sondern den Trsnjek spielen wollte. Während jemand anders auf die Rolle des Freud scharf war. „Ich bewundere diese Figur“, sagt Herrmann, „der Trsnjek sitzt in seiner Trafik, hat den Ersten Weltkrieg überlebt, hat ein Bein verloren, und lässt sich in seinem demokratischen Grundverständnis nicht verbiegen, steht zu seiner Meinung, lässt sich nicht beeinflussen.“

 Szene aus dem Theaterstück: Sigmund Freud (Jan Herrmann), der Trafikant (Andreas Lachnit) und Franz (Gurmit Bhogal).

Szene aus dem Theaterstück: Sigmund Freud (Jan Herrmann), der Trafikant (Andreas Lachnit) und Franz (Gurmit Bhogal).

Foto: Thomas Kölsch

Diese Figur habe ihn begeistert, sagt Herrmann, der mit Bart und Brille wirklich wie Freud aussieht: „Dann wurde es der Freud.“ Ob es für ihn frustrierend ist, nicht die gewünschte Rolle zu bekommen? „Überhaupt nicht, wenn Sie mich jetzt fragen würden, ob ich tauschen will, würde ich sagen: Nein! Ich gebe ihn nicht mehr her.“ Und schwärmt doch weiter von Trsnjek… aber die Rolle des Freud habe viele tolle Zitate und Pointen.

„Die richtige Frau zu finden, ist eine der schwierigsten Aufgaben unserer Zivilisation“

Bhogal, der Darsteller des jungen Franz, erzählt: „Wir haben viel über meine Figur geredet, ich bin so langsam reingewachsen. Wir haben sowieso über jede Figur gesprochen, haben sie analysiert.“ Der Franz sei ihm näher als die anderen. Er findet auch die komplexe Liebesbeziehung zu Anezka interessant. Liebe, ein zeitloses Thema. „Da kann heute jeder und zu jedem Moment an­docken, da hat sich seit den 1930er Jahren nichts geändert“, so Seibert.

Interessant, dass Franz mit einer noch kurzen Lebenserfahrung viel besser damit umgeht als der Theoretiker Freud. Der versucht dem Jungen einzureden: „Ich vermute, wenn wir von deiner Liebe sprechen, meinen wir in Wahrheit deine Libido.“ „Meine Was?“ fragt Franz.

Irgendwann gibt Freud zu: „Ich glaube, ich kann dir da nicht helfen. Die richtige Frau zu finden, ist eine der schwierigsten Aufgaben unserer Zivilisation.“ Hier wird es in der Aufführung sicherlich Lacher geben.

Auch bei Franz‘ Schlusswort dieser Szene: „Könnte es vielleicht sein, dass Ihre Couchmethode nichts Anderes macht, als die Leute von ihren ausgelatschten, aber gemütlichen Wegen abzudrängeln, um sie auf einen völlig unbekannten Steinacker zu schicken, von dem sie nicht die geringste Ahnung haben, wie er aussieht, wie weit er geht und ob er überhaupt zu irgendeinem Ziel führt?“ Touché.

Das Junge Theater Bonn (JTB) bringt „Der Trafikant“ von Robert Seethaler nach seinem gleichnamigen Roman auf die Bühne. Eine Koproduktion mit dem Zentrum für internationale Kulturelle Bildung des Goethe-Instituts Bonn. Der Roman „Der Trafikant“ ist im Kein & Aber Verlag erschienen. Premiere ist am 6. April, 19.30 Uhr, Hermannstraße 50-52. Altersempfehlung: ab 14 Jahren. Dauer: ca. 140 Minuten mit Pause. Weitere Termine: www.jt-bonn.de

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