Beethovens Sinfonien fürs Klavier Zwei Hände und ein Kopf

Bonn · Der Pianist Hinrich Alpers beschäftigt sich mit Franz Franz Liszt. Der wiederum hat sich mit Klavierversionen der Beethoven-Sinfonien beschäftigt. Das ist komplex, aber beeindruckend, findet der Künstler. Und kann das auch gut erklären.

Der Pianist Hinrich Alpers an seinem Arbeitsplatz.

Der Pianist Hinrich Alpers an seinem Arbeitsplatz.

Foto: Felix Broede

Für seine Bearbeitung der Gewitterszene aus Ludwig van Beet­hovens Sinfonie Nr. 6, der sogenannten „Pastorale“, packt Franz Liszt das ganz große Pianistenbesteck aus. Da grollen die Donner in den tiefsten Bassregionen, zuckende Blitze finden in wilden Sprüngen treffsicherer Pianistenfinger ihr akustisches Äquivalent. Es stürmt und pfeift die Tastatur herauf und herunter. Alles ist Effekt in dieser Szene – und doch ist alles sehr untypisch für die Liszt’schen Klavierversionen der Beethoven-Sinfonie, wenn man sie in ihrer Gesamtheit betrachtet.

Das sieht jedenfalls der Pianist Hinrich Alpers so, der die neun Sinfonien zum Beethovenjahr 2020 im Kammermusiksaal des Bonner Beethoven-Hauses für Sony Classics eingespielt hat und demnächst auch beim Beethovenfest als einer von drei Klaviervirtuosen bei der Live-Aufführung des Zyklus vertreten sein wird. „Für mich stand die Bewunderung für Liszts eigene Zurückhaltung im Vordergrund“, beschreibt der Norddeutsche seine Motivation, sich einmal intensiv mit den eher selten aufgeführten Klaviertranskriptionen auseinanderzusetzen. „Liszt konnte ja nun wirklich sehr virtuos schreiben. Das sieht man an den vielen Opernparaphrasen, für die er wirklich in die Vollen greift. Bei den Sinfonien Beethovens ging es ihm aber um etwas anderes.“ Liszt habe weder etwas hinzufügen noch etwas weglassen wollen, als er die Orchesterstimmen der originalen Partituren Beethovens auf die Tastatur eines Klaviers verteilte.

Und doch unterscheiden sie sich sehr von einfachen, eher mechanistisch erstellten Klavierauszügen der Sinfonien, die nur eine Ahnung von der Musik vermitteln, die sie abbilden wollen. „Da denkt man dann zum Beispiel: oh, schade, dass nicht die Oboe diese Stelle gespielt hat.“ Liszt hingegen, so Alpers, habe die musikalische Farbigkeit und Vielschichtigkeit der Sinfonien auf beeindruckende Weise erfasst und fürs Klavier übersetzt. In seinen Transkriptionen werde deutlich, dass selbst noch die einfacheren Sinfonien komplexer seien als die Klaviersonaten, sagt Alpers, der beide Werkgruppen sehr genau kennt. Alpers, der 2009 die Bonner Telekom Beethoven Competition als Sieger durchlief, hat bereits mehrfach die 32 Klaviersonaten des Bonner Komponisten live gespielt, unter anderem auch in Bonn. Für ihn setzen die Liszt/Beethoven-Sinfonien „nahtlos hinter der ‚Hammerklaviersonate’ an“. Sie gilt als die schwierigste der 32 Werke.

Facetten der Kompositionskunst

Anders als zur Zeit der Entstehung erfüllen die Bearbeitungen von Liszt nicht mehr den praktischen Nutzen, die Sinfonien auch ohne Orchester hören zu können. Heute ist jede Sinfonie überall und jederzeit multimedial abrufbar. Aber sie ermöglichen einen Blick auf Beethovens Kompositionskunst, der neue Facetten aufblitzen lässt. „Es gelingt Liszt, eine Transparenz herzustellen, die ein Orchester an vielen Stellen so gar nicht leisten kann. Zum Beispiel bei komplizierten harmonischen Vorgängen.“ Die Aufgabe des Pianisten sei es dann, die Fäden eines musikalischen Gedankens, den Beethoven übers Orchester verteilt habe, in seinem eigenen Kopf wieder zusammenzuziehen. So gesehen, sagt Alpers, sei man als Pianist wieder „relativ dicht“ an dem Original: „Indem alle diese Ideen und Gedanken wieder in zwei Händen und einem Kopf zusammenfließen.“

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