Einwohnerversammlung in Bad Neuenahr Flutopfer an der Ahr müssen noch lange mit Baustellen leben

Bad Neuenahr · Bei der Bürgerversammlung in Bad Neuenahr gibt es viel Redebedarf. Im Mittelpunkt steht eine Bestandsaufnahme zum Wiederaufbau nach der Flut. Klar wird: Auch wenn viel geschafft ist, die Menschen müssen noch lange mit Baustellen leben.

Neuralgischer Punkt beim Wiederaufbau in Bad Neuenahr: Bevor die Poststraße wieder zum Dreh- und Angelpunkt für Handel und Gastronomie werden kann, muss die Kanalisiation erneuert werden.

Neuralgischer Punkt beim Wiederaufbau in Bad Neuenahr: Bevor die Poststraße wieder zum Dreh- und Angelpunkt für Handel und Gastronomie werden kann, muss die Kanalisiation erneuert werden.

Foto: ahr-foto

Es war eine Naturkatastrophe von biblischem Ausmaß, eine Flutwelle, die 134 Menschen im Ahrtal in den Tod gerissen hat, nahezu 800 Verletzte zur Folge hatte, 17 Brücken im Stadtgebiet von Bad Neuenahr-Ahrweiler zerstörte, 200 Straßen und nahezu alle Parks und Promenaden überflutete. Das Hochwasser setzte Schulen, Kindergärten, Sportanlagen unter Wasser, legte die Strom-, Wasser- und Abwasser-Infrastruktur lahm und machte mindestens 1444 Baumaßnahmen mit einem Kostenaufwand von 1,7 Milliarden Euro allein an städtischer Infrastruktur erforderlich, um an Vor-Flut-Zeiten anzuknüpfen. Wenn Menschen über Jahre inmitten von Deutschlands wohl größter Baustelle leben müssen, dann gibt es Frage- und Informationsbedarf. Die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler trägt dem Rechnung und führt in allen Stadtteilen Einwohnerversammlungen durch. Nun war die Kernstadt von Bad Neuenahr an der Reihe. Zehn von dreizehn Stadtteilen waren von der Naturkatastrophe betroffen.

 Stehen bei der Einwohnerversammlung in Bad Neuenahr Rede und Antwort: (v.l.) Ortsvorsteher Richard Lindner, Bürgermeister Guido Orthen und Erster Beigeordneter Peter Diewald.

Stehen bei der Einwohnerversammlung in Bad Neuenahr Rede und Antwort: (v.l.) Ortsvorsteher Richard Lindner, Bürgermeister Guido Orthen und Erster Beigeordneter Peter Diewald.

Foto: ahr-foto

80 Prozent der Einzelhändler und Restaurantbetriebe waren betroffen

Mehr als 130 Kilometer Kanalnetz waren von der wild tobenden Ahr in Mitleidenschaft gezogen worden, 745 Einzelmaßnahmen haben die Fachleute des Wasser- und des Abwasserwerkes vor sich, um alles wieder auf Vordermann zu bringen. Dabei kann bislang im Einzelfall noch nicht verlässlich gesagt werden, wann welche Maßnahme zum Tragen kommt. Beispiel: Poststraße. Diese als Fußgängerzone ausgewiesene Geschäftsstraße verfügt über einen Kanal, der sieben bis acht Meter tief im Erdreich liegt und große Schäden aufweist. Einzelhändler und Gastronomen in der Innenstadt möchten schnellstmöglich wieder an den Start gehen. Das allerdings setzt einen intakten Kanal und einen abgeschlossenen Komplettneubau der Straße voraus. 80 Prozent der Einzelhändler und Restaurantbetreiber in der Kreisstadt waren von der Naturkatastrophe betroffen. „Wir wissen, wie angespannt die Situation in diesen Branchen ist“, sagte Bürgermeister Guido Orthen (CDU). Er versprach, dass die Geschäfte auch während der Bauarbeiten, die schnellstmöglich in Angriff genommen werden sollen, begehbar sein werden.

Rund 12.000 Menschen wohnen noch im Ortsbezirk Bad Neuenahr, das sind etwa 1000 weniger als vor der großen Katastrophe. Insgesamt hat die Kreisstadt 2170 Einwohner verloren, das sind rund 7,5 Prozent. Lag der Einwohnerstand am 14. Juli 2021 noch bei 29.300, so waren es wenig später fast 2200 weniger. Dabei lag die Zahl der Wegzüge aus Neuenahr im gesamtstädtischen Vergleich über dem Durchschnitt. Orthen dankte im nicht ganz voll besetzten Sitzungssaal den erschienenen Bürgern dafür, „dass sie geblieben sind“, also nicht weggezogen. Obwohl klar sei, dass der Wiederaufbau durchaus zehn Jahre dauern werde.

Hochwasserschutz steht beim Wiederaufbau im Fokus

Davon, so Orthen, habe man nun anderthalb Jahre hinter sich. Und in denen sei viel geschafft worden. Dies, obwohl ein Drittel der Rathaus- und Bauhofbelegschaft selbst von der Flut betroffen war. Nicht nur das: Von 100 Fahrzeugen des städtischen Bauhofes wurden 60 von der Flut komplett zerstört, das gesamte Material- und Werkzeuglager – vom Schraubenzieher bis zur Bohrmaschine – wurde weggeschwemmt.

Dem Hochwasser- und Katastrophenschutz werde besonderer Stellenwert beigemessen, führte Orthen in der Versammlung aus. Er nannte die auf den Weg gebrachten örtlichen und überregionalen Hochwasserschutzkonzepte, die Gewässerentwicklungspläne, an denen sich zwei Bundesländer, vier Landkreise und alle Städte und Gemeinden an der Ahr beteiligen, die neu entstandene Sensibilität, wenn es um die Kontrolle der Zuflüsse, um drohende Verklausungen an den Brücken oder die Ausweisung von Retentionsflächen geht.

Trotz der dramatischen Schadenslage sei es gelungen, zumindest Provisorien zu schaffen, so Orthen. Selbst die Parks verfügten wieder über eine Aufenthaltsqualität. Die Uferlichter im Kurpark geben davon Zeugnis. Dass es noch lange dauern wird, bis alles wieder so ist, wie es einmal war, daran ließ das Stadtoberhaupt keinen Zweifel aufkommen. Ob Brücken- oder Straßenbau, Ahrtherme, Twin, Apollinarisstadion oder Kurparkliegenschaften: Geduld werde noch lange das oberste Gebot sein, so Orthen. Sein Wunsch: „Dass wir aufeinander aufpassen und gegenseitig Rücksicht nehmen.“

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