Debatte um Straßennamen Gibt es bald wieder eine Judengasse in Sinzig?

Sinzig · In Sinzig wird darüber diskutiert, ob die Gudestraße in Zukunft wieder in Judengasse umbenannt werden soll. Ein Gutachter hat historische Fakten dazu ausgewertet und die Vorteile benannt. Anfang November wird eine Entscheidung des Stadtrats erwartet.

Der Stadtrat entscheidet darüber, ob die Gudestraße künftig wieder Judengasse heißen soll.

Der Stadtrat entscheidet darüber, ob die Gudestraße künftig wieder Judengasse heißen soll.

Foto: ahr-foto

Wenige Tage vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht am 9./10. November entscheidet der Sinziger Stadtrat darüber, ob die heutige Gudestraße in der Stadtmitte wieder „Judengasse“ heißt, also den Namen zurückerhält, den sie über Jahrhunderte trug. Bürgermeister Andreas Geron möchte das Thema zuvor allerdings noch einmal mit den Anliegern besprechen. Die Beschlussempfehlung, die der von der Stadt beauftragte Gutachter Joachim Scholtyseck bei einer Hauptausschusssitzung abgab, ließ es an Deutlichkeit nicht mangeln.

 Untersucht die Geschichte der Straße: Gutachter Prof. Dr. Joachim Scholtyseck.

Untersucht die Geschichte der Straße: Gutachter Prof. Dr. Joachim Scholtyseck.

Foto: General-Anzeiger Bonn GmbH

Eine Rückbenennung könnte laut Expertenmeinung pädagogisch sinnvoll sein

Er sei „eigentlich ein Gegner von Umbenennungen“, stellte der in Köln wohnende und in Bonn lehrende Historiker klar, im Falle der Gudestraße in Sinzig könne er aber „eine Rückbenennung nur empfehlen“. Dass die nur 150 Meter lange schmale abschüssige Gasse ihren alten Namen zurückerhält, bezeichnete er als „vernünftig und gesellschaftspolitisch wichtig“, und es sei „eine Chance, an die jüdische Geschichte der Stadt zu erinnern“. Eine Rückbenennung werde „eine heilende Wirkung haben“, war sich Scholtyseck sicher, würde „zum Nachdenken anregen“ und wäre „insbesondere für junge Menschen pädagogisch sinnvoll“.

Gleich 1933 war die Sinziger Judengasse nach Albert Leo Schlageter (1894-1923) benannt worden, der von den Nationalsozialisten zum Märtyrer stilisiert wurde. Während der französisch-belgischen Ruhr-Besetzung war Schlageter, ein militanter Aktivist, von einem französischen Militärgericht wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Unmittelbar nach der Nazi-Zeit erhielt die Judengasse zwar ihren angestammten Namen zurück, wurde vom Stadtrat aber schon 1952 einstimmig in „Gudestraße“ umbenannt. Dieser Name sei historisch nicht belegt, machte der Gutachter nochmals klar. Seitdem ist mehrfach angeregt worden, die Straße wieder in „Judengasse“ rückzubenennen.

Namenswechsel bedeutet Aufwand für die Anlieger

Martin Eggert (SPD) war „erleichtert zu erfahren, dass auch die Wissenschaft die Umbenennung gutheißt“. Franz-Hermann Deres (CDU) fragte, ob die Bezeichnung „Judengasse“ vor der Nazi-Zeit „negativ behaftet oder neutral“ gewesen sei, woraufhin Scholtyseck versicherte, dass der Name „Judengasse“ in der Geschichte von Sinzig nicht abwertend verwendet wurde. Im Mittelalter habe es dort zwar mehrere Pogrome gegeben, dann aber hätten Christen und Juden bis Anfang des 20. Jahrhunderts „ein normales Verhältnis zueinander gepflegt“.

Sollte der Stadtrat im November eine Rückbenennung ablehnen, wäre das Thema nicht abgeschlossen, befürchtete Hardy Rehmann (Grüne). Er war sich sicher, dass das Thema damit nicht verschwindet, sondern in ein paar Jahren wieder in der Stadt diskutiert wird. Karl-Heinz Arzdorf (CDU) stellte fest, dass es außer einem gewissen Aufwand für die Anlieger keine Argumente gegen eine Rückbenennung gebe.

Gutachter Scholtyseck machte zum Schluss noch einmal deutlich, dass nach der Nazi-Zeit in Deutschland und Österreich hunderte ehemalige Judengassen und -straßen ihre angestammten Namen zurückerhalten hätten. Dass dies in Sinzig bislang nicht geschehen ist, mache die Stadt zu einer Ausnahme. Stadtrat und -verwaltung müssten nun „aushalten, dass möglicherweise ein paar Anwohner vergrätzt sind“.

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