Erster Muezzinruf zum Freitagsgebet in Köln Zwischen Begeisterung und Protest

Köln · Viel wurde darüber schon im Vorfeld diskutiert, am Freitag konnten sich Kritiker und Befürworter das erste Mal tatsächlich den Ruf zum Freitagsgebet anhören. Wie laut er tatsächlich ist, und was die Ehrenfelder dazu sagen.

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Erster Muezzin-Ruf in Köln mit Demo und Protest

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

An diesem Freitag ist viel los in Köln vor der Zentralmoschee in Ehrenfeld. Journalisten und interessierte Anwohner tummeln sich auf den ohnehin vollen Straßen, Autos hupen, Menschen unterhalten sich. Und natürlich wollen Menschen zum traditionellen Freitagsgebet: alte und junge, Familien mit Kindern, Männer und Frauen. Bei dieser Geräuschkulisse geht der Grund des Aufruhrs fast unter: Um 13.24 Uhr ruft für vier Minuten zum ersten Mal in Köln der Muezzin zum Freitagsgebet. Sein Ruf erschallt aus zwei kleinen Lautsprechern oberhalb der großen Holztür, zahlreiche Smartphone werden in die Luft gereckt. Fast jeder der Anwesenden möchte diesen Moment festhalten. Muezzi n Mustafa Kader ruft zum Freitagsgebet, die Sätze dafür sind immer die gleichen: „Ich bezeuge, es gibt keine Gottheit außer dem einen Gott und ich bezeuge, dass Mohammed sein Gesandter ist.“

Erlaubt sind 60 Dezibel, das entspricht ungefähr dem Geräuschpegel einer normalen Unterhaltung. In einem Stadtteil wie Ehrenfeld geht das schnell unter, schon in der Mitte der Treppe vor der Moschee, die zur viel befahrenen Venloer Straße führt, ist vom Gebetsruf kaum mehr etwas zu hören. Das wäre vermutlich auch so, wenn sich nicht auf der gegenüberliegenden Straßenseite zahlreiche Protestgruppen versammelt hätten. Sie halten Schilder hoch, auf denen „Der öffentliche Raum soll weltanschaulich neutral bleiben“ oder „Das Kopftuch ist Symbol der Geschlechter-Apartheid“ steht. Sie skandieren, um den ohnehin leisen Ruf des Muezzins zu überdecken und hören auch nicht auf, als die meisten der Besucher schon zum Gebet in die Moschee gegangen sind.

Viele Diskussionen im Vorfeld in Köln

Schon im Vorfeld gab es viele Diskussionen, die an die Kontroversen zum Bau der Moschee erinnerten. Dabei ist der Gebetsruf in Köln lange nicht der erste, in rund 30 Gemeinden ist das bereits üblich. Die Stadt Köln hatte vor einem Jahr erklärt, dass Moscheegemeinden auf Antrag und unter Auflagen künftig öffentlich zum Gebet rufen dürfen. Die Stadt verweist auf die im Grundgesetz verbriefte Freiheit der Religionsausübung. Die Entscheidung stieß auf Kritik – unter anderem von Kölns früherem Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU), der an die umstrittene Eröffnungsfeier für die Moschee erinnerte. Damals, im September 2018, hatte die Ditib keinen einzigen Repräsentanten der Stadt Köln eingeladen, als der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Moschee feierlich eröffnete. Schramma hatte sich zuvor über viele Jahre für den Bau der Moschee eingesetzt.

Aussagen der Bewohner zum Muezzinruf gehen auseinander

Die Meinungen der Ehrenfelder zum öffentlichen Muezzinruf gehen auseinander. „Warum nicht?“, fragt die 20 Jahre alte Havin Yildiz, die mit ihrer Familie direkt gegenüber der Moschee wohnt. „Wir kommen aus der Türkei und kennen den Muezzinruf, für uns ist es ein vertrauter Brauch – auch wenn wir nicht streng religiös leben.“ Heide Thelen (80) ist nicht begeistert. „Aber das müssen wir dann jetzt wohl über uns ergehen lassen“, sagt die 80-Jährige. „Wenn die da oben entscheiden, haben wir nichts zu melden.“ Eine ältere Dame, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, versteht die Aufregung nicht. „Ich war hier gerade einkaufen, als gerufen wurde. Aber gehört hat man unten auf der Straße nichts, es stört also keinen“, sagt sie.

Maria Nawrath ist 1986 aus Polen nach Deutschland gekommen. Die 71-Jährige bleibt gelassen. „Wir sind doch alle Menschen, egal woher wir kommen“, sagt sie. „Ich wurde hier gut aufgenommen, und wenn es für die Muslime wichtig ist, dass der Muezzin öffentlich ruft, ist das in Ordnung.“

Ditib untersteht Religionsbehörde der türkischen Hauptstadt

Die Ditib ist die größte Islam-Dachorganisation in Deutschland. Sie untersteht der Religionsbehörde Diyanet in Ankara, die alle Imame in die rund 900 Moscheegemeinden entsendet und bezahlt. Wegen ihrer großen Nähe zum türkischen Präsidenten steht der Bundesverband mit Sitz in Köln immer wieder in der Kritik. Der Ditib wurde vorgeworfen, türkische Oppositionelle in Deutschland im Auftrag von Ankara bespitzelt zu haben. Bund und Land Nordrhein-Westfalen gingen seither auf Distanz. Der Bund fördert keine Ditib-Projekte mehr. Ditib ist aber zum Beispiel noch Teil der Kommission, die angehenden Lehrkräften die vorgeschriebene religiöse Lehrerlaubnis erteilt und auch über Unterrichtsinhalte mitentscheidet.

Für die Ehrenfelder selbst sind andere Dinge wichtig. Auch die Studentin Jana Ketzberg lebt in Ehrenfeld. „Ich finde es gut, wenn Kultur integriert wird, wenn alle Menschen sich wohl fühlen und sich mit Köln identifizieren können“, sagt die 27-Jährige. Sie schränkt allerdings ein: „Es kommt aber schon drauf an, um welche Zeit der Muezzinruf erfolgt. Normalerweise ruft der ja zum Sonnenaufgang. Das ist im Sommer sehr früh.“ So möchte sie jedenfalls nicht geweckt werden. „Die Freiheit eines jeden hört da auf, wo die des anderen beginnt.“

Andere Religionsverbände sehen eine Chance in dem Ruf. Das katholische Hilfswerk missio Aachen beispielsweise bezeichnet die Premiere „als Zeichen von Normalität in einer offenen Gesellschaft, in der das Menschenrecht auf Religionsfreiheit für alle gleichermaßen gilt“, so Präsident Pfarrer Dirk Bingener. Die Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, befürchtet dagegen, dass der öffentliche Muezzin-Ruf von „islamistischen Hardlinern“ als „Punktsieg“ verstanden werden könnte.

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