Volkshochschule Voreifel Mutter und Sohn machen gemeinsam Mittlere Reife
Bad Godesberg/Wachtberg · Mit 56 will es eine Godesbergerin nochmal wissen. An der Volkshochschule Voreifel büffelt sie für den verpassten Abschluss. Genau wie ihr Sohn, der in dem kleinen Klassenverband die Mittlere Reife nachholen will. Jeden Abend fahren sie dafür nach Rheinbach.
Noch zwei Wochen, und Ulrike sieht ihren ersten Sommerferien seit 40 Jahren entgegen. Damals hatte die Godesbergerin das Gymnasium abgebrochen, die Schule gewechselt und war dort nur mit dem Hauptschulabschluss abgegangen. Jetzt, mit 56, will sie’s noch mal wissen und baut an der Volkshochschule Voreifel an der Mittleren Reife.
„Ich wollte das immer nachholen, bin aber früh Mutter geworden, und bei vier Kindern fehlte die Zeit“, erzählt die OGS-Betreuerin. Vor drei Jahren habe dann ihr Vertrag mangels schulischer Bildung, nicht aber der Eignung, kurzzeitig auf der Kippe gestanden. „Eine weitere Fortbildung hat mich zwar gerettet, doch da kam der Wunsch wieder hoch“, sagt Ulrike, die wie alle Schüler in dieser Geschichte nur mit Vornamen genannt werden will. Die Abendrealschule der Stadt Bonn sei jedoch ob des meist frühen Anfangs gegen 16 Uhr ausgeschieden.
Dass sie seit Januar in Rheinbach, dem Sitz der VHS Voreifel, die Schulbank drückt, hat sie einer kleinen Zeitungsnotiz zu verdanken. Dort nämlich wurden die Abschlusslehrgänge beworben, und sie sorgte sich ein wenig um ihren Sohn, den die Corona-Zeit und Schicksalsschläge etwas aus der Schullaufbahn geworfen hatten. „Ich meinte dann zu ihm ‚Schau mal, das ist abends, das wäre doch optimal für Dich‘“, erzählt die Witwe mit Blick auf ihren Aufstehmuffel. Am Ende wurde es eine Chance für beide.
Für die Fernschule mangelte es an Selbstdisziplin
Jan hatte zu diesem Zeitpunkt Besuche auf der Gesamtschule, der Hauptschule, der Handelsschule und der Abendrealschule hinter sich. „Während der Pandemie bin ich zur Fernschule gewechselt, die viel kostet und wo man alle Fächer eigenständig vorbereitet“, blickt der 21-Jährige zurück. Es mangelte an Selbstdisziplin, außerdem an Kontakt zu Lehrern und Mitschülern.
Der Godesberger sagte zu und fährt seit sechs Monaten montags bis freitags mit seiner Mutter nach Rheinbach. „Für mich ist das ein ganz schöner Stress, da meine Arbeit erst um 16.30 Uhr endet, kurz frisch machen, etwas essen und dann geht es los“, betont Ulrike. Der Unterricht in der VHS dauert von 17.45 bis 21 Uhr. Wie ist das, im (überschaubaren) Klassenverband gemeinsam mit der Mutter zu lernen? „Mich stört das überhaupt nicht“, sagt Jan, dem Erfolge in seiner eigentlichen Schulzeit „im jugendlichen Leichtsinn“ egal waren: „Jetzt giere ich danach.“
Schon ein halbes Jahr vor den beiden hat Kasra seine Mission in Richtung Ausbildung begonnen. Vor sechs Jahren flüchtete er aus dem Iran, ist mittlerweile anerkannt und lebt in Wachtberg. Und damit in einer der sechs linksrheinischen Kommunen, die Mitglied der VHS Voreifel sind. „Ich bin gelernter Metallbauer“, erzählt der 31-Jährige. Als er in Deutschland die Berufsschule besuchte, merkte er, dass weder Deutsch- noch Mathekenntnisse ausreichten. Für ihn geht es erst mal um den Hauptabschluss nach Klasse 9. Ein harter Weg in einer fremden Sprache. „Ich habe tolle Nachhilfe in Deutsch und Englisch, für Mathe schaue ich mir Youtube an“, sagt Kasra.
Teilnehmer müssen mindestens 17 Jahre alt sein und und die Vollzeitschulpflicht erfüllt haben
Deutschkenntnisse auf B2-Niveau seien eine Voraussetzung, um an der Ausbildung teilzunehmen, erklärt Fachbereichsleiterin Juliane Keusch. Zudem müssen Interessenten die Vollzeitschulpflicht erfüllt haben und mindestens 17 Jahre alt sein. Der Unterricht findet in der Gesamtschule Rheinbach statt. Vor der Aufnahme muss jeder Bewerber einen Einstufungstest ablegen – je nachdem wie dieser ausfällt, steht noch ein Vorkurs an. „Die Schulabschlusslehrgänge enden mit einer staatlichen Prüfung, die Lehrgangsinhalte stimmen mit den Kernlehrplänen der Regelschulen überein“, erläutert Keusch. Ausruhen geht also nicht.
Das erste Jahr diene der Vorbereitung auf die Prüfung zum Hauptschulabschluss der Klasse 9, die aktuell stattfindet. „Da man damit heute kaum einen Ausbildungsplatz bekommt, machen die meisten weiter“, sagt Keusch. Oder steigen hier erst ein, wenn die (Vor-) Qualifikation stimmt. Das dritte Semester führe zum Hauptschulabschluss der Klasse 10.
Auch wenn man den, wie Mutter und Sohn, in der Tasche hat, muss man an den Stunden in den Hauptfächern (Mathe, Deutsch, Englisch) und Nebenfächern (Erdkunde, Biologie und Geschichte) teilnehmen, da ein einjähriger Unterrichtsbesuch für die letzte Prüfung vorausgesetzt wird. Die endet mit dem vierten Semester und bestenfalls der Mittleren Reife. Bis auf 20 Euro Kopierkosten pro Semester fallen keine Gebühren an.
Selbst das Abi können sich manche jetzt vorstellen
25 Teilnehmer pro Durchgang könnte Keusch aufnehmen, meist seien es weniger. Zwölf waren es in der aktuellen Klasse, acht sind geblieben. „Das Hauptproblem sind zu hohe Fehlzeiten“, meint Keusch. Manche benötigten zudem ein Semester, um zu verstehen, dass es eine ernsthafte Sache sei. Beim letzten Mal nahmen drei Schüler einen Hauptschulabschluss nach Klasse 10 mit nach Hause, sieben die mittlere Reife (mittlerer Schulabschluss).
„Das Wort Abitur war auch schon in meinem Kopf“, sagt Ulrike in einer Art Zwischenbilanz. Oder aber die externe Prüfung zur Erzieherin. Ihr Sohn könnte sich mittlerweile ebenfalls mit dem Abi anfreunden. „Vielleicht aber mache ich auch eine Ausbildung als Koch oder Konditor“, sagt Jan. Durch den kleinen Kurs fühlt er sich wieder angekommen im Bildungssystem – auch wenn’s mal hakt.
Kasra hofft, erst mal durch die Prüfungen zu kommen. Den Metallbauer hat der Villiper abgehakt: „Hier wird mir zu viel mit Maschinen statt mit Werkzeugen gearbeitet.“ Er ist philosophisch sehr bewandert, verschlingt viele Bücher. In den Ferien will er sich Gedanken über seine Zukunft machen.
Wer Interesse an dem VHS-Lehrgang hat, erhält weitere Infos bei Juliane Keusch, ☎ 0 22 26/92 19 31. Auch zu einem möglichen Einstieg nach den Ferien.