Baukunst aus Lessenich Die vielen Leben des Marc Vandamme

Lessenich/Meßdorf · Trommler, Visionssucher und Indianer im Geiste: Der flämische Architekt ist 70 Jahre alt geworden und geht nach 33 Jahren Selbstständigkeit in den Ruhestand.

 Arbeit und Privates will Architekt Marc Vandamme nicht trennen. Sein Schreibtisch ist umgeben von Gegenständen seiner Indianer-Leidenschaft.

Arbeit und Privates will Architekt Marc Vandamme nicht trennen. Sein Schreibtisch ist umgeben von Gegenständen seiner Indianer-Leidenschaft.

Foto: Stefan Knopp

Die typisch flämische Giebelform ist gestuft. In Gent, wo Marc Vandamme geboren wurde, und in Brüssel, wo er aufwuchs, gibt es viele Beispiele dafür, aber man findet sie überall, auch in Deutschland. Vandammes Haus in der Lessenicher Forellstraße hat ebenfalls einen solchen Giebel, das war ihm wichtig, sagt er. Er ist in diesem Jahr 70 geworden und seit 50 Jahren in Deutschland, beides konnte er wegen Covid-19 nicht feiern. Vor 33 Jahren machte er sich als Garten- und Landschaftsarchitekt selbstständig. Ende des Jahres schließt er sein Büro, dann will er sich seinen „anderen Leben“ widmen.

„Für mich hat der Mensch viele Leben in sich“, erklärt er. Familie und Beruf, das sind zwei davon, aber da ist mehr: Vandamme trommelt, oft auch mit Kindern, lernt das Didgeridoo-Spielen, setzt sich für den Umweltschutz ein, arbeitet am Familienstammbaum, hilft seiner Tochter in der ökologischen Landwirtschaft, lebt sich mit Holzskuplturen und Malerei künstlerisch aus und war schon als Kind der Ansicht, eigentlich zu den Lakota-Indianern zu gehören. Langweilen wird er sich also nicht, wenn er das Berufliche künftig ausklammert.

Er kam für das Architekturstudium nach Köln, schrieb seine Diplomarbeit über die Begrünung von Innenstädten. Danach arbeitete er zunächst in einem Kölner, später in einem Bonner Büro, 1987 machte er sich selbstständig. Seitdem entwarf Vandamme mehr als 100 Projekte vom kleinen japanischen Garten bis zur großen Sportanlage (siehe Infokasten) in und um Bonn, Köln und Hennef sowie im Bergischen Land.

Einen Zettel legt er sich in jeden Terminkalender, den er neu beginnt: „Lass dich nie von deiner Arbeit unter Druck setzen“ steht darauf. „Das einzige, was der Mensch für sich hat, ist Zeit.“ Die solle man sinnvoll nutzen, und unter diesem Motto hat er auch Aufträge abgelehnt. Vandamme ist ohnehin die Ruhe selbst, aber durchaus auch streitbar. Kürzlich kritisierte er die Fällung einer Eibe vor der Laurentiuskirche, die angeblich morsch war und im Rahmen der Installation des Kreuzes auf dem Kirchturm gefällt wurde. Er habe sich den Baumstamm gesichert, die Eibe sei in Ordnung gewesen, das habe man ihm inzwischen auch bestätigt.

Mit Holz kennt er sich auch ein wenig aus, er arbeitet künstlerisch damit und drückt damit auch sein Umweltschutzbestreben aus. Die Skulpturen tragen Titel wie „Die Zerstörung der Erde“ oder stellen zornige Baumgeister dar. „Auch Holz ist ein eigenes Ich“, ist er überzeugt. Für die Natur setzte er sich schon als Kind ein, etwa, indem er Baumpflanzungen organisierte, weil er in einer Gegend wohnte, in der viel abgeholzt wurde. Das war ohnehin eine Zeit, die ihn sehr geprägt hat, sagt er: Er ist ein Kind der 68er, der Tod von Che Guevara hat ihn sehr getroffen. Und als Flame in Brüssel sei er oftmals Feindseligkeiten ausgesetzt gewesen, erzählt er. In Geschäften sei er mit seinem flämischen Dialekt oft nicht bedient worden.

Diese Unterdrückung schuf auch eine Verbindung zu den Lakota-Indianern, dem stolzen Volk Sitting Bulls, das sich lange gegen die Weißen behauptete, schließlich aber von ihnen in Reservate in Dakota verwiesen wurde. „Ihr seid nicht meine Eltern, ihr habt mich geklaut“, hat Vandamme seinen Eltern mal ins Gesicht gesagt. „Es fühlt sich so an, dass man aus einem früheren Leben eine Verbindung dazu hat.“ Er hat viele ihrer Lebensweisen übernommen, zum Beispiel die Schwitzhütte am Jahresbeginn, mit der er das alte Jahr abschließt und sich für das neue bereit macht, und die Visionssuche, bei den Indianern ein Teil des Erwachsenwerdens. Dafür begibt Vandamme sich jedes Jahr für vier Tage im Taunus in einen Wald, nur mit Wasser, Schlafsack und seinen Gedanken, ohne Ablenkungen wie Buch oder Smartphone. Es ist eine Reinigung: „Man lässt sich geistig und körperlich leer laufen.“ Das ist natürlich organisiert, alles andere wäre zu gefährlich. Ihm kommen Visionen. „Man begegnet Gedanken, die aus der eigenen Kindheit kommen.“

Vandamme war bei Protesten gegen die Abholzung des Hambacher Forstes dabei, als dort Lakota-Indianer eine Rede hielten. Die einmal besuchen zu dürfen, das ist sein großer Traum – allerdings sei das schwer für Weiße. „Man muss sie für sich gewinnen.“ Das brauche Geduld, aber die hat er ja.

Im Ruhestand kann er das angehen. Und er will den alten Bauwagen umbauen, den man ihm zum 70. Geschenkt hat. Der kommt auf eine Parzelle auf dem Grundstück seiner Tochter. „Dann bin ich alleine für mich in der Natur.“ Und dann hat er ja noch seine vielen anderen Leben: Langweilen wird er sich nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Zeit zum Durchatmen: Das Steinhuder Meer
Der Herbst, die Zeit für Stille
Den Lärm abschalten und neue Kraft schöpfenDer Herbst, die Zeit für Stille
Aus dem Ressort